"Stop all the clocks"

Werbung
Werbung
Werbung

Dem englischen Lyriker Wystan Hugh Auden zum 100. Geburtstag.

In dem englischen Film Vier Hochzeiten und ein Todesfall (1993, mit Hugh Grant) stirbt der lebenslustige Schotte Gareth nach wildem Tanz und Lachanfall an einem Herzinfarkt. Bei seinem Begräbnis deklamiert sein Lebensgefährte ein Gedicht:

Das Gedicht stammt von Wystan Hugh Auden, der sich mit diesem "Filmauftritt" auch dem deutschsprachigen Publikum in Erinnerung rief, nicht zuletzt als eine poetische Ikone der Schwulen, obwohl er selbst eine ähnliche Instrumentalisierung des Shakespeare der Sonette zum "Schutzheiligen der Homintern" sarkastisch getadelt hatte. Die unter dem (nicht authentischen) Titel Funeral Blues bekannten Verse, die als einzig angemessene Reaktion auf den Tod ein Innehalten des Lebens, ein Sistieren der Zeit verlangen, zeichnen sich durch jenen nonchalanten Umgang mit der Form und jenes beiläufige Pathos aus, für die Audens Lyrik berühmt ist - oder muss man sagen: war?

Der "Begräbnis-Blues"

Im deutschen Sprachraum scheint der gebürtige Engländer nahezu vergessen. Waren vor einigen Jahren immerhin noch ein Band mit Audens luziden Shakespeare-Essays (2001) und eine zweisprachige Auswahl mit dem Begräbnis-Blues als Titelgedicht (Anhalten alle Uhren, 2002) im Schweizer Pendo-Verlag erschienen, so hat der Verlag dem Briten inzwischen die Treue aufgekündigt, die Titel sind vergriffen, und zum 100. Geburtstag des Dichters herrscht in deutschen Landen schnöde Öde: Es geschieht rein gar nichts.

Dabei hatte Auden nicht nur ein Faible für die deutsche Sprache (in seinem Spätwerk finden sich des Öfteren deutsche Wendungen), er machte auch ein deutschsprachiges Land zu seiner Wahlheimat: Österreich.

Auden hatte seit 1956 eine Professur für Dichtkunst in Oxford inne, eine seiner Studentinnen war Österreicherin und chauffierte ihn in den Ferien in die Gegend zwischen Böheimkirchen und St. Pölten. Der Dichter, der damals seinen Hauptwohnsitz in den USA hatte (1939 war er amerikanischer Staatsbürger geworden), war von der unspektakulär schönen Landschaft angetan und beschloss, in Kirchstetten, nahe der Westautobahn, gemeinsam mit seinem Gefährten Chester Kallman sein Sommerdomizil aufzuschlagen.

Auden, der in früheren Schaffensphasen seines Werkes stets die Stadt als Inbild zivilisatorischer Werte beschworen hatte, hoffte nun, gerade fünfzig, das Leben auf dem Lande würde, wie bei seinem Vorbild Horaz, seiner Arbeit neue Impulse verleihen. Dem Weintrinker und Musikliebhaber war ein Land mit Weinkultur höchst willkommen, nicht minder die Nähe der Wiener Staatsoper.

Was Auden nicht wusste: In ebendiesem Dorf hatte Josef Weinheber 1936 mit dem Geld seines ersten literarischen Preises ein Landhaus erworben, schon vor dem Anschluss war er mit dem Band Adel und Untergang zum gefeierten Dichter des nationalsozialistischen Deutschland avanciert, 1945 hatte er sich beim Nahen der russischen Truppen das Leben genommen. Auden kannte den Namen seines nur wenig älteren Beinahe-Nachbarn nicht, als er sich 1956 in Kirchstetten niederließ, aber es war nur eine Frage der Zeit, bis er mit Person und Werk der gestürzten Lokalgröße vertraut war. In dem langen elegischen Gedicht Josef Weinheber setzt Auden sich mit dem Dichterkollegen auseinander, den man in den letzten Kriegstagen "wie einen geliebten alten Hund" im eigenen Garten verscharrte; er benennt dessen Schuld, zollt ihm aber auch Respekt und räsoniert sogar über eine Art Wesensverwandtschaft - vielleicht, meint er, wären sie Freunde geworden.

Auden und Weinheber

Wie kommt ein berühmter englischer Lyriker dazu, einen Nazi-Dichter zu verteidigen? Gibt es wirklich Gemeinsames - außer dem Hang zur Bukolik, der Liebe zur Kirchstettner Landschaft? Gewiss verbindet beide die meisterliche Beherrschung der Form, und doch waren sie ganz unterschiedliche lyrische Temperamente: Weinheber, der Odensänger, der Klassizist (oder weniger wohlwollend: Epigone), Auden, der Virtuose des Understatements, der mit zunehmendem Alter immer weniger Aufhebens von der eigenen Kunst macht. Mag sein, dass Auden sich dem Ottakringer Waisenhauszögling in punkto Trinkfestigkeit verwandt gefühlt hat.

Das Trennende fällt aber doch zuerst ins Auge: Wystan Hugh Auden, 1907 in der Grafschaft York geboren, galt in der literarischen Szene der dreißiger Jahre, wie auch sein Freund Christopher Isherwood, als rebellisch-aggressiver Herausforderer der Generation von T.S. Eliot und Ezra Pound - und war wie die meisten seiner Clique Kommunist. 1935 heiratete er Thomas Manns Tochter Erika, um ihr die Emigration nach England zu ermöglichen. 1936, als Weinheber als frisch gebackener Tusculum-Besitzer die Früchte seines literarischen Opportunismus zu ernten begann, ging Auden nach Spanien, um als Kampfflieger den Republikanern zu dienen, 1938 nach China, ein Jahr später in die USA, für die er bald als Pilot gegen Hitler in den Krieg zog. 1946 machte er mit dem Gedichtband The Age of Anxiety Furore, in dem das lyrische Ich, wegweisend für Audens künftiges Oeuvre, zwischen Zynismus und quasi religiöser Zuversicht schwankt. Er erhielt dafür den Pulitzer-Preis.

Indessen war Auden nicht nur vom Kommunismus abgerückt, er hatte sich auch dem Christentum zugewandt, ernsthaft und skeptisch, wie es seine Art war, denn für ihn machte den Christen gerade die Einsicht, keiner zu sein, aus, weder im Glauben noch im moralischen Verhalten. In Kirchstetten ging der Dichter ganz nach katholischer Facon sonntags zur Messe und schritt bei den dörflichen Prozessionen hinter dem "Himmel" einher. Sein religiöses Bekenntnis war für ihn auch ein künstlerisches. Poesie, schrieb Auden einmal, könne hunderterlei Dinge tun, aber es gebe nur eine Sache, die sie tun müsse: "it must praise all it can for beeing and for happening".

Skeptischer Katholik

Mag sein, dass Audens mildes postumes Urteil über seinen einstigen Feind sich dem christlichen Gebot der Vergebung verdankt. Linke Kollegen haben es ihm übel genommen - so widmete Michael Guttenbrunner sein unerbittliches Gedicht über den Poeta Laureatus süffisant dem anderen Kirchstettner: "Here's a bottle of golden Kremser for Mr. Auden", hatte doch dieser seinerseits bekannt, er hätte gern einmal eine solche Flasche goldenen Kremser mit dem braunen Dichterfürsten geleert. (Sogar jüngst spukte der untote Weinheber noch in Marcel Beyers Gedicht Kirchstettner Klima.)

In seinen späten Jahren hat W. H. Auden zu einem eigenen Stil gefunden: umstandslos alltäglich, schlicht und ergreifend, ohne metaphorische Verbrämung, pointiert, humorvoll und persönlich - ohne dass der Autor seinem Credo untreu geworden wäre, wonach es nicht die Aufgabe des Künstlers sei, sich selbst auszudrücken, weil der Wert der Erfahrung allein darin liege, sie mit anderen zu teilen.

Am 28. September 1973 fuhr Auden mit seinem Freund nach Wien, um von dort über den Winter nach Oxford zu gehen. Am Abend hielt er eine Lesung in der Österreichischen Gesellschaft für Literatur, in der Nacht starb er in seinem Hotel. Vorgestellt hatte er sich immer, Chester Kallman zu überleben. Die dritte Strophe von Stop all the Clocks lautet:

Audens Haus in Kirchstetten kann man besichtigen. Seine Adresse ähnelt nicht zufällig dem Titel eines heimischen Kabarettfilms, dessen Autor Roland Düringer auch zur Prominenz des Ortes gehörte: Hinterholz 6.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung