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Bertolt Brecht, Erwin Piscator und das experimentelle Theater im Berlin der zwanziger Jahre: eine Ausstellung im Österreichischen Theatermuseum.

Achtzig Jahre nach Erwin Piscator (1893-1966) revolutioniert Lars von Trier mit "Dogville" das Kino, indem er Elemente des epischen Theaters einsetzt. Das Österreichische Theatermuseum dreht die Geschichte um und beginnt bei jenem Experiment, da das Theater als reiner Illusionsraum seine Notwendigkeit verliert. Bertolt Brecht und Erwin Piscator sind die Protagonisten dieser Schau, die sich der Entstehungszeit des experimentellen Theaters in Berlin widmet. Die beiden Theaterreformer haben alles und nichts miteinander zu tun, und so hat das Architektenteam Karin Müller-Reineke und Gerhard Vana zwei Räume eingerichtet, die ihre ganz individuelle Ausstellungsinszenierung erfahren und doch in ihrer Abhängigkeit begriffen werden. In die Räume führen dokumentarische Filmaufnahmen, die den historischen Hintergrund als Wirklichkeitsschock ausstellen.

Und damit passt plötzlich etwas zusammen, was einander ansonsten grundlegend widerspricht: Theater kann man nicht ausstellen, oder diesmal doch, weil es sich in seinem Selbstverständnis selbst ausstellt?

Nach den Erfahrungen des Ersten Weltkriegs entwickeln Brecht und Piscator jeweils Konzeptionen, die das Theater einerseits als "Schauanstalt" neu etablieren, andererseits als intermediales Instrument im mittlerweile hochindustrialisierten Berlin definieren. Ausgewählte Projekte repräsentieren das revolutionäre Moment: Piscators nie verwirklichtes Totaltheater (1927) als nachgebautes Miniatur-Experiment wird als eine Art "Raummaschine" in einen schwarzen Hintergrund gebettet, der die Exponate wie Projektionen auftreten lässt.

Konsumierbarkeit brechen

Kurator Michael Schwaiger zeichnet großzügig nach, was wir heute unter Interdisziplinarität verstehen: Bauhaus-Architekt Walter Gropius plant eine multifunktionale Bühne mit sämtlichen verfügbaren mechanisch-maschinellen Mitteln, um mittels Lichtprojektionen den Schauplatz der szenischen Ereignisse zu gestalten. Ziel ist der Bruch leicht konsumierbarer Ästhetik - in einer Zeit, deren größte Katastrophe die Lüge ist. Die durch theaterfremde Mittel hergestellte Distanz erst vermag es, den Zuschauer zum politisch handelnden Menschen zu aktivieren.

Wenig bekannte Szenenfotos und Bühnenbildentwürfe veranschaulichen die Idee des piscatorschen Gesamtkunstwerks. Pläne des Künstlers László Moholy-Nagy, der auf der Piscator-Bühne Walter Mehrings Großstadtdrama "Der Kaufmann von Berlin" (1929) eingerichtet hat, spiegeln auf einem Drei-Etagen-System die Dramaturgie der sozialen Strukturen.

Mit "Rasputin, die Romanows, der Krieg und Volk, das gegen sie aufstand" (1927) und Ernst Tollers "Hoppla, wir leben" (1927) werden Atmosphäre der Aufbruch- und Untergangstimmung der Weimarer Republik nachvollziehbar. Wie übereinander gelegte biografische Schablonen sehen Piscators und Brechts Karrieren aus, und doch hätten sie nicht unterschiedlicher sein können. Ihre Arbeiten sind Zeitphänomene und trotzdem heute noch gültig, auch wenn der DDR-Theatersäulenheilige BB in Österreich immer noch wie ein Exote gespielt wird. Der Brecht-Raum ist auch sparsamer eingerichtet und mutet manchmal genauso belehrend an wie dessen Schau- und Lehrstück "Die Mutter" und ebenso modellartig wie sein Bühnen-Podium. Unkommentiert sollen Brechtsche Textauszüge seine Theorien zu Gestus, Unterbrechung, Verfremdungs-Effekt erläutern. Die fehlende Kontextuierung macht dies sperriger als nötig. So vermittelt sich auch die Aussage der Ausstellung über das Spiel: Hörbeispiele, die Ernst Buschs unverwechselbare Stimme im O-Ton vernehmen lassen, lassen nachvollziehen, was Reflexion der Handlung bedeuten kann. Caspar Nehers Handzeichnungen illustrieren nicht nur, wie sich Brecht sein episches Theater ausmalte, sondern verweisen auch auf die besonderen Bestände des Österreichischen Theatermuseums. Für den Katalog konnte unter anderem der wissenschaftliche Brecht-Erbe Joachim Fiebach gewonnen werden, der 1999 an der Humboldt-Universität pensioniert wurde, um dann zusehen zu müssen, wie das dortige theaterwissenschaftliche Institut der Freien Universität Berlin einverleibt wurde.

Verfremdungseffekt

Wie bedeutend aber differenzierte Wahrnehmung ist, das vermittelt die zwar kleine, aber klug strukturierte Schau. Als inszenierte Präsentation setzt sie dort an, wo auch ihre Protagonisten begonnen haben: bei der Verfremdung des Augenscheinlichen.

Brecht & Piscator

Experimentelles Theater

im Berlin der zwanziger Jahre.

Österreichisches Theatermuseum.

Lobkowitzplatz 2, 1010 Wien

Bis 12. April Di-So 10-18 Uhr

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