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Das Erbe

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Seit das Haselgrubersche Stahlwerk in,Sankt Andrä-Wördern im Mai vorigen Jahres stillgelegt wurde, ist die politische „Chronique scan- daleuse“ der Zweiten Republik um ein wahres Prachtstück von einer Affäre reicher. Beide Parteien entschlossen sich nur sehr zögernd, reinen Tisch zu machen, allzu zögernd, wie uns scheint, und viel zu wenig umfassend. Aber das ist ein anderes Kapitel.

Was geschah mit dem Stahlwerk im Tullner Feld? Das begann zu rosten. Es gab zwar eine Parlamentsdebatte, es gab eine Reihe von Politikerreden, in denen im Brustton demagogischer Ueberzeugung den Arbeitern von St. Andrä-Wördern wieder ihre alten Arbeitsplätze versprochen wurden, aber ansonsten passierte gar nichts. Oder doch? Das Konkursverfahren begann zu laufen. Mühsam und langsam, das ist bei einer so gewaltigen Insolvenz — es dreht sich immerhin um rund eine halbe Milliarde Schilling — und bei einer so großen Anzahl von Gläubigern gar nicht anders möglich.

Immerhin ist der Hauptgläubiger eine der größten österreichischen Banken, die Girozentrale, das Spitzeninstitut der österreichischen Sparkassen. Aber außer der Entlassung von zwei Direktoren und der Einsetzung eines Regierungskommissärs durch den Finanzminister geschieht auch dort nichts. Die Girozentrale, die als Großbank — so sollte man glauben — doch Möglichkeiten haben müßte, in einem solchen Fall eine wirtschaftlich- günstige Lösung zu erreichen — in ihrem ureigensten Interesse — unternimmt nichts — nur der Konkurs schleppt ich weiter.

Dann taucht plötzlich eine internationale Interessentengruppe auf, die das Werk wieder in Gang bringen will. Wer hinter dieser Gruppe steckt, weiß man nicht genau. Auch ob sie kapitalkräftig genug ist, ein Stahlwerk zu Betreiben, weiß man nicht genau. In Oesterreich ist das gar nicht so einfach. Man erfährt, daß diese Gruppe das Werk pachten will, daß- mit dem Masseverwalter und mit dem Hauptgläubiger, der Girozentrale, verhandelt wird und daß die Verhandlungen schon weit vorangetrieben sein sollen.

Da plötzlich schaltet sich die Oesterreichisch- Alpine Montangesellschaft ein und stellt ein Kaufangebot, eineinviertel Jahre nach Stilllegung des Werkes, und die Tagespresse bringt Schlagzeilen. Die neue Leitung der verstaatlichten Industrie posaunt das Kaufangebot in die Oeffentlichkeit. Aber was ist das für ein Erfolg? Die Alpine will Vorderhand einmal einen Siemens-Martin-Ofen in Betrieb nehmen, das Walzwerk bleibt stillgelegt. Etwa 100 Leute sollen beschäftigt werden Vielleicht, daß einmal das ganze Stahlwerk in Betrieb genommen wird, aber das kann noch Jahre dauern. Das ist alles? Dafür ließ man sich eineinviertel Jahre Zeit, und das hätte nicht schon früher geschehen können?

Nun, die Alpine wird das Werk übernehmen, zum größeren Teil aus politischen Gründen, weil der neue Herr der verstaatlichten Industrie vor den wichtigen Wiener Herbstwahlen einen Wahlschlager braucht, und zum kleineren Teil, weil die Alpine — das ist durchaus verständlich — sich ganz gern eine potentielle Konkurrenz vom Leibe hält.- Aber eineinviertel Jahre lang mußte das Werk rosten.

Vorhang zu: Es war ein schlechtes Stück, mit schlechten Akteuren, mit einem schwachen i Schluß. Alles in allem ein sehr verlustreicher Durchfall.

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