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Nach dem Bombenabwurf

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DER HIROSHIMA-PILOT. Von William Bratlfonl Haie. Paul-Zsolnay-Verlag, Wlen-Ham-burf, 1004. 318 Seiten. Preis 12 DM.

Über den sogenannten Hiroshima-Piloten, den USA-Major Eatherly, hat „Die Furche“ bereits berichtet, zuletzt in ihrer Nr. 35/64, in welcher sich Günther Anders mit W. B. Huie auseinandersetzt. Unterdessen liegt die deutsche Übersetzung von „The Hiroshima Pilot“ vor, und die Leser werden jetzt Gelegenheit haben, sich in zwei wohl nie mehr zu vereinigende Parteien zu spalten, von denen die eine durchaus glauben will, „daß es einen Major Eatherly gab und gibt, der“,die Bombe hinauftrug und sie abwarf, dann auf die Knie fiel und flehtei .Vater, was habe ich getan!' “ Wie Huie mit vorbildlicher Forscherakribie und mit detektivischem Spürsinn erhoben hat, war Eatherly beim Angriff auf Hiroshima gar nicht der Bombenwerfer sondern ein abgezweigter Wetterbeobachter, und erst zwölf Jahre später — 1957 — haben Zeitungsaufsätze von dem auf einem Reuekomplex aufgebauten Fall Eatherly zu berichten begonnen. Diese Verknüpfung des Falles mit Reuefolgen war indessen nicht ganz überzeugend, denn Reue kann nur einem Selbstverschulden

entspringen, was jedoch nicht vorlag, und der Major hätte auch in seiner Außenseiterrolle höchstens ein menschlich begreifliches Bedauern empfinden können, als er von den vielen Opfern der ersten Atombombe Kenntnis erhielt. Er blieb bis 1947 aktiv, ohne vom Recht der Waffendienstverweigerung aus Gewissensgründen Gebrauch zu machen. Huie läßt durchblicken, es wären pazifistische Kreise gewesen, die sich des Falles bemächtigten und der USA-Luftwaffe eine beabsichtigte Spitals-internierung Eatherlys zuschieben. Soweit Huie.

Günther Anders ist hingegen überzeugt, es liege tatsächlich eine Reuefall vor, den man aber in den USA als aus kampfpsychologischen Erwägungen unerwünscht leugnen will. Der Gegensatz Huie-Anders wird zweifellos die öffentliche Meinung samt Fernsehen, Film, Rundfunk, Bühne, Presse und Literatur weiter beschäftigen. Für die Kriegswissenschaft bleibt als Kernfrage von Bedeutung, wie weit der Krieg den Kämpfern eine seelisch-geistige Schädigung zufügen kann und ob er

auch deshalb zu verurteilen wäre. Derartige Schädigungen hat bekanntlich nach jedem Krieg gegeben, allerdings in einem sehr geringen Prozentsatz der Frontkämpfer. Auch eine berufliche Entwurzelung kommt durch Kriegsdienst natürlich vor, doch auch sie blieb, wie zum Beispiel beim österreichischen Offizier nach 1918, ohne solche Erscheinungen, als daß man von gescheiterten Existenzen hätte reden können. Wenn Eatherly auf einem anderen Kriegsschauplatz zahlreiche Einsätze geflogen wäre — statt bloß ihrer sechs gegen Japan, und diese ohne feindliche Gegenwirkung —, dann zählte er zu den anonymen Soldaten. So aber lösten der Zufall eines Spitalsaufenthaltes und die Verbindung seines Wetterfluges mit dem Abwurf der ersten Atombombe durch den Piloten Tibbetts am 6. August 1945 über Hiroshima den soviel diskutierten Fall aus. Es bleibt jedenfalls eine unerfreuliche Erscheinung, daß der wegen Gesamtveranlagung bedauernswerte Eatherly im Zeitalter der kodifizierten Menschenrechte zwischen Gut und Böse hin und her gezerrt, zum Schluß noch auf die Bühne der öffentlichen Weltmeinung geschoben wird, die ihn nicht selten vor den Kulissen der Spekulations- und Sensationsgier zu zeigen beliebt.

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