"Etwas tun, bevor die Katastrophe da ist"

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Welche umweltpolitischen Themen sollte die EU dringend anpacken? Worin bestehen aktuell die größten Hürden, welche neuen Chancen tun sich auf? Antworten von Elisabeth Freytag-Rigler, die, parallel zur neuen Aufgabe in Kopenhagen, Leiterin der Abteilung "EU-Koordination Umwelt" im Umweltministerium bleibt.

DIE FURCHE: Welche Ziele haben Sie sich für Kopenhagen gesetzt?

Elisabeth Freytag-Rigler: Ich will, dass sich alle Mitgliedsstaaten aktiv an der europäischen Umweltund Nachhaltigkeitspolitik beteiligen -auch weniger aktive Länder in Süd-und Osteuropa. Bisher ist Nachhaltigkeit ein mittel- und nordeuropäisches Thema. Immerhin haben 90 Prozent der Umweltgesetze ihren Ursprung in Brüssel. DIE FURCHE: Es gibt zwar eine europäische Nachhaltigkeits-Strategie, aber in der Realpolitik geht die "Europa 2020-Strategie" für Wachstum und Beschäftigung vor. Freytag-Rigler: Manche Wirtschaftsleute meinen natürlich, Wirtschaftswachstum sei das Wichtigste. Ein europäisches Ziel ist ja die Re-Industrialisierung Europas. Wir haben aber nur eine Erde. Umwelt kann auch zum Wirtschaftswachstum beitragen, etwa durch Green Jobs, wobei ich das BIP nicht als primäres Ziel erachte. Die Lebensqualität soll wachsen. Deshalb muss man die Sozial-,Umwelt- und Wirtschaftspolitik gleichzeitig bedenken. Wer aus Umweltgründen die Pendlerpauschale abschaffen will, muss die sozialen Folgen bedenken.

DIE FURCHE: Die "20-20-20-Klimaschutzziele" bis 2020 sind nicht sehr ambitioniert und obendrein nicht verbindlich: Reduktion der Emissionen um 20 Prozent unter das Niveau von 1990, Reduktion des Energieverbrauchs um 20 Prozent sowie einen 20 Prozent-Anteil von erneuerbaren Energien. Freytag-Rigler: Österreich liegt bereits jetzt weit über 20 Prozent erneuerbarer Energien. Die 20-Prozent-Reduktion der Treibhausgase unter das Niveau von 1990 war für uns nicht einfach, inzwischen haben wir dieses Ziel erreicht. Österreich ist bei den C02-Emissionen pro Kopf etwa im EU-Mittelfeld. Die Ziele für 2030 müssen ausgewogen sein. Die Frage ist, ob diese Ziele verbindlich sein werden. Global betrachtet ist Europa sehrwohl die treibende Kraft in der Umweltpolitik.

DIE FURCHE: Ist es nicht frustrierend, wenn bei den UN-Klimakonferenzen große Player wie die USA oder China auf verbindliche Ziele pfeifen? Die EU kann global nur einen kleinen Beitrag leisten.

Freytag-Rigler: Unser Anteil an den Treibgas-Emissionen der Welt wird halt immer geringer, weil die anderen Länder mehr wachsen als wir. Dennoch ist es wichtig, dass es einen Player gibt, der klar macht: Wir brauchen ambitionierte Ziele und die Wissenschaft gibt uns diese vor. Etwa, damit wir es schaffen, den Temerpatur-Anstieg auf zwei Grad zu begrenzen.

DIE FURCHE: Sind dem Europäischen Rat der leistbare Energiepreis, die Wettbewerbsfähigkeit, die Versorungssicherheit wichtiger als klimapolitische Ziele?

Freytag-Rigler: Klar sucht der Rat einen Kompromiss zwischen wirtschaftlichen und umweltpolititischen Interessen. Versorgungssicherheit ist allen wichtig. Die Wettbewerbsfähigkeit Europas ist gesunken, aber es ist zu hoffen, dass der Europäische Rat mutig ist.

DIE FURCHE: Die EU greift nicht in die freie Gestaltung des jeweiligen "Energiemixes" eines Landes ein. So darf Polen weiterhin viel mit Kohle arbeiten und Frankreich mit Atomkraftwerken. Wo ist da die gemeinsame Klimapolitik?

Freytag-Rigler: Auch wenn wir Österreicher massiv gegen Atomkraft sind, werden wir den Franzosen die Atomkraft nicht verbieten können, oder den Polen die Kohle. Aber man kann europäische Standards setzen, etwa Grenzwerte für Anlagen oder Treibhaus-Emissionen. Ich glaube nicht, dass es im österreichischen Interesse wäre, dass die EU den Energie-Mix vorgibt.

DIE FURCHE: Die EU hat den Weg für Fracking frei gemacht. In Österreich ist das kein Thema, versichern Mitterlehner und Rupprechter. Laut OMV wurden Fracking-Versuche im Weinviertel bereits durchgeführt. Soll Österreich langfristig frei von Fracking bleiben?

Freytag-Rigler: Ja. Ich glaube, dass wir in Österreich keinen Bedarf dafür haben. Im Gegensatz zu den USA sind wir dichter besiedelt, das Gas ist nicht so weit oben in den Erdschichten gelagert wie in den USA. Man muss nicht alles umsetzen, das technisch möglich ist,

DIE FURCHE: Dafür ist die Akzeptanz in der Bevölkerung nicht da.

Freytag-Rigler: Stimmt. Weder für Fracking noch für Atomkraft. Ich glaube das liegt daran, dass wir seit den Siebziger-Jahren Umwelterziehung in den Schulen machen. Auch zu den neuen Themen Energie und Nachhaltigkeit passiert an den Schulen viel.

DIE FURCHE: Mit dem Ukraine-Konflikt wächst das Unbehagen über die Abhängigkeit vom russischen Gas. Sollte Österreich nicht noch stärker und schneller auf Energieautarkie setzen?

Freytag-Rigler: Natürlich ist Energieautarkie ein generelles Ziel. Wir werden in den Ausbau erneuerbarer Energie investieren und uns anschauen, in welchem Bereich das am besten möglich ist: Wind, Sonne, Wasser oder Biomasse.

DIE FURCHE: Laut einer Studie der Uni Innsbruck könnte Österreich bis in 40 Jahren seinen gesamten Energiebedarf mit erneuerbaren Energien decken. Werden wir dieses Ziel ernsthaft angehen? Freytag-Rigler: Das ist eine Frage des politischen Willens. Schaffbar ist es sicher. Im Verkehrsbereich ist das am schwierigsten, da ist ein Ausbau der E-Mobilität gefragt.

DIE FURCHE: Klimaforscher Stefan Schleicher kritisiert, dass zu wenig Umweltmaßnahmen in puncto Verkehr gesetzt werden. Wie kann ein Umstieg von der privaten Mobilität auf öffentliche und nicht-motorisierte Verkehrsmittel erfolgen?

Freytag-Rigler: Verkehr ist ein schwieriges Thema, weil soviele Menschen Auto fahren und Österreich ein Transitland ist. Ich bin überzeugt, dass die wenigsten unbedingt ein Auto besitzen wollen. Die meisten wollen von A nach B kommen. Am Land wäre es wichtig, dass die Infrastruktur ausreichend ist, sodass man nicht derart auf das Auto angewiesen ist. Da ist die Regionalpolitik gefragt. Es ist auch nicht ökologisch, bis zum letzten Haus eine Schiene zu verlegen. Es gibt andere regionale Möglichkeiten wie etwa Sammeltaxis. In der Stadt sollten Systeme wie "Car to go" ausgebaut werden. Auch in anderen Bereichen sollten wir uns vom "besitzen" verabschieden und uns mehr auf die Dienstleistung konzentrieren.

DIE FURCHE: Der deutsche Öko-Pionier Friedrich Schmidt-Bleek meint, dass viele grüne, klimaschonende Technologien enorme Ressourcen verbrauchen. Ein Hybridauto würde bei der Herstellung so viele Ressourcen mehr brauchen, dass man das beim Verbrauch nie wieder einsparen könne.

Freytag-Rigler: Da trifft er tatsächlich einen Punkt. Wir sollten uns die Ressourcenfrage viel stärker stellen. Der reine Hausverstand macht mich skeptisch, wenn mir empfohlen wird, meine Waschmaschine wegzuschmeißen und ein energiesparenderes Gerät zu kaufen.

DIE FURCHE: Schmidt-Bleek würde es sinnvoll finden, Steuern auf rare Ressourcen einzuheben. Freytag-Rigler: Rare natürliche Ressourcen für die nächsten Generationen zu sichern ist unsere Aufgabe, ob dies durch Steuern oder andere lenkende Maßnahmen erfolgt, ist zweitrangig. Auch bei den elektronischen Geräten, in denen seltene Erze stecken, müsste man Recycling-Anreize setzen.

DIE FURCHE: Methan ist ebenso problematisch wie CO2. Jede Kuh schadet dem Klima sosehr wie ein Auto.

Freytag-Rigler: Ich halte nichts davon, deshalb in Österreich Kühe zu schlachten. Da wäre es sinnvoller, den Autoverkehr zu begrenzen. Landwirtschaft ist schon Teil unserer Kultur. Wir wollen ja, dass die Almen bewirtschaftet sind.

DIE FURCHE: Wie sehr hat sich die heimische Wirtschaft für Nachhaltigkeitsthemen geöffnet?

Freytag-Rigler: Insgesamt setzt Österreich aus Wettbewerbsgründen EU-Richtlinien zu Umweltmaßnahmen nicht strenger um als nötig. Aber viele Unternehmen sind in puncto Nachhaltigkeit freiwillig aktiv, denn immer mehr Konsumenten wollen nachhaltig konsumieren. Viele Unternehmen verdienen auch an der Umwelttechnologie. Was die Wirtschaft will, sind langfristige Standards und Planungssicherheit.

DIE FURCHE: Was tun Sie persönlich für die Umwelt?

Freytag-Rigler: Ich habe ein europäisches Nachhaltigkeits-Netzwerk namens European Sustainable Development Network (ESDN) gegründet, wo good-practice-Beispiele ausgetauscht werden. Uns geht es darum, nicht erst Aktivitäten zu setzen, wenn die Katastrophe da ist. Dass wir auch unseren Kindern noch eine schöne Welt hinterlassen können, ist mein Ziel.

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