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Peter Härtling — Wanderer auf Lebenszeit

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Peter Härtling bekennt für seine Gastprofessur an der Salzburger Universität: „Ich bin kein Musiker, aber ich lebe mit Musik“.

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Peter Härtling bekennt für seine Gastprofessur an der Salzburger Universität: „Ich bin kein Musiker, aber ich lebe mit Musik“.

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Vorlesungen zur Verzahnung der verschwister- ten Künste: Musik und Dichtung

In Salzburg ist er kein „Fremder“. (Auf die Anführungszeichen werden wir noch zurück- kommen.) Vor vier Jahren hielt er auf Einladung der „Internationalen Sommerakademie“ elf Vorlesungen über das Thema „Wanderschaft und Fremde“. Die Veranstaltungsreihe fand so viel Zustimmung, daß das Gesamtkollegium der Hochschule für Musik und darstellende Kunst „Mozarteum“ einstimmig beschloß, Peter Härtling die Gastprofessur für Poetik anzutragen.

Was ist das? „Poiein“ kommt aus dem Griechischen und bedeutet schöpferisch sein, herstellen, machen. Strawinsky nennt es „das Studium des zu machenden Werkes“. Seine Vorlesungen am Lehrstuhl für Poetik der Havard University wurden zum Vorbild für akademische Gastveranstaltungen. Die Hochschule Mozarteum hatte schon länger die Absicht, eine Gastprofessur für Poetik zu errichten. Am 13. Oktober 1992 wurde beschlossen, einen Zyklus mit Vorlesungen, Konzerten, Lesungen und Rundgesprächen zu schaffen.

Im Sommersemester eröffnete

der Komponist Isang Yun den Reigen der semesterweise wechselnden Sonderveranstaltungen, die in Schrift-, Bild- und Tondokumentation festgehalten werden. Im laufenden Wintersemester folgte ihm der Schriftsteller Peter Härtling. Für das Sommersemester 1994 wird Wilhelm Killmayer seinen Platz einnehmen und diesem wird im Winterseme

ster 1994/95 Luciano Bėrio folgen.

In Peter Härtlings Buch „Schubert — zwölf Moments Mu- sicaux und ein Roman“ ist die Verzahnung beider verschwister- ten Künste, Musik und Dichtung, deutlich aufgezeigt. Beide sind für Härtling untrennbar. Durch seine jahrelange Freundschaft mit dem Lied-Duo Mitsuko Shi- rai/Hartmut Höll, vertiefte sich

in langen Gesprächen, in intensiver Beschäftigung mit Musik und Dichtung sein Verständnis und Verhältnis zu beidem. „In meinem Kopf entstand eine sonderbare Welt, in der Musik und Poesie sich mischten. Ich schreibe und höre zugleich Musik.“

Dazu kommt, daß er als Fünfzehnjähriger zum ersten Mal „Die Winterreise“ hörte, ein gra-

vierendes Erlebnis für den jungen Menschen, das ihn prägte für immer: „Fremd bin ich eingezogen, fremd zieh ich wieder aus.“ Auch diesmal stand Schubert im Mittelpunkt der Vorlesungen und Lesungen. Aber auch andere, ihm verwandte Wanderer: Hölderlin, Waiblinger, Lenau. Das wandernde Wasser wandert durch die Texte Wilhelm Müllers, die Romantiker werden gegenwärtig, Melusine und Undine, lebendige Gestalten unserer (verdrängten) Wünsche und Ängste. Das Naturverständnis der Romantik wird angesprochen und unsere „Fremde“ dazu.

ALLE FLÜCHTLINGE DER WELT

Im Zentrum der Veranstaltungen stand ein Rundgespräch mit Peter Härtling, Wilhelm Killmayer, Wolfgang Roscher, Oswald Panagi und Siegfried Mauser zum Thema „Poesie und Musik“, des weiteren ein Konzert, in dem die „Wanderer Fantasie“ von Schubert zu hören war und Liedvertonungen von Alexander Mullenbach nach Gedichten von Peter Härtling. In zahlreichen Seminaren, Vorlesungen und Lesungen kreiste Härtling sein Thema auf bestürzende Weise ein, indem er es „ausgrenzte“. Sein Wanderer ist der aus der „Schönen Müllerin“ und der „Winterreise“. Er ist aber ungleich viel mehr. Sein Wanderer, das ist er selbst, der als Kind im Krieg, zum Flüchtling wurde, der „fremd gemacht“ wurde. Sein Wanderer

tut einen Schritt von seinem Wanderweg auf uns zu und sieht uns an. Er macht uns alle zu seinesgleichen, steht als Flüchtling für alle Flüchtlinge dieser Welt, die wir heute schon sind oder morgen sein können.

Außerhalb der Vorlesungsreihe an der Hochschule Mozarteum hielt Peter Härtling eine Lesung im P.E.N.-Glub unter dem Motto „ … und gehe in Wörtern spazieren.“ Härtling las zwei „musikalische“ Prosatexte, „Don Giovanni“ und „Dreimal Fidelio“ und neue Gedichte aus den letzten drei Jahren. Hier sei nur sein „Spätes Liebesgedicht“ erwähnt „Komm, wir gehen Berge versetzen …“, „Sechs Steine aufs Grab“ (für Erich Fried) und die Engel-Gedichte.

An einem verregneten unterrichtsfreien Tag hatte ich die Freude, mit Peter Härtling auf den Kapuzinerberg zu gehen und von einem freundlichen Bruder durch das Kloster geführt zu werden. Härtlings spürbare Aufmerksamkeit auch hier, sein Interesse am kleinsten Detail, seine fast kindliche Freude über die Ausblicke aus den Fenstern, vom Klosterhof, auf Türme und Dächer der Stadt, die er kennt und liebt. Wo immer er erschien, ob im Hörsaal oder im Kaffeehaus, schlugen ihm die Sympathien entgegen.

Ein Student: „Der Mann ist so bedeutend wie bescheiden. Er hat uns etwas zu sagen — und das in einer so einfachen und klaren Sprache …“

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