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Bemühen, auf Wirklichkeiten zu stoßen

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Der Satz „ich bemühe mich, auf Wirklichkeiten zu stoßen" steht zu Beginn des ms „Hölderlin" zu lesen. Er Lht sich nicht nur um Wirk-eiten. Er findet sie. Sie haben gkeit, auch wenn es „nur" sind.

Streiflicht aus Osterreich, war während der „Rauriser aturtage", Ende der siebziger !. Wie immer viel Publikum, eimische, Touristen, Litera-luid solche, die es werden en, Verleger. Durch den ge-t vollen „Grimming"-Saal gte sich Peter Härtling, um vorn an seinen Lesetisch zu nen, hatte Mühe, wurde auf-Iten, „ein Autogramm, bitte", geduldig, lächelte, sprach den Autogrammjägern, gab a - glaubhaft - das Gefühl, le jetzt ein gern gehörter Ge-hspartner zu sein. Neben mir sin Student der Germanistik München mit einem Gesicht Jngläubigkeit und Bewundert was?" fragte ich. chau'n Sie sich diesen Härtin. Das ist ja ... ein Mensch." l sah mich in dem überfüllaal um.

„Wohl nicht der einzige." Der Student schüttelte den Kopf. „Das sind ja lauter Typen ..."

Der Student hatte den Nagel auf den Kopf getroffen. Härtling kassiert Sympathien, noch ehe er den Mund aufmacht. Wenn er ihn aufmacht, tragen die Sympathien Zinsen. Die Stimme, tief und warm, trägt, was er zu sagen hat, geht alle Menschen an. Manche verargen ihm das. Ich werde noch darauf zurückkommen.

Viele Jahre später in Salzburg. Härtung war von der „Internationalen Sommerakademie der Hochschule Mozarteum" eingeladen worden, elf Vorlesungen über ein aktuelles Thema zu halten, nämlich „Wanderschaft und Fremde". Härtling wählte die Zyklen „Winterreise" und „Die

schöne Müllerin", um an diesen klassischen Beispielen das Thema dingfest zu machen. Die Sänger, Liedbegleiter und Literaturfreunde, die ihm zuhörten, lernten weit mehr als sie geahnt oder erwartet hatten. Denn Härtling spannte einen weiten Bogen vom Begriff der Wanderschaft, des „In-der-Natur-Seins", wie wir es längst schon verlernt haben, über die ewige Frage nach dem Woher und Wohin des Menschen bis zur Kunst-Fertigkeit der Metaphorik in den ausgewählten Gedichten.

Wie bei allen Lesungen, verstand es Härtling auch in dieser Vorlesungsreihe, Assoziationen herzustellen, Atmosphäre zu beschwören, Appelle an Gefühl und Intellekt zu richten.

Es ist ein seltener Glücksfall, wenn ein Autor gleichermaßen gute Prosa und gute Gedichte schreibt. Härtlings Kinderbücher sind sprichwörtlich gute Kinderbücher. (Ich nenne nur „Jakob hinter der blauen Tür" und „Krücke".) Diese Bücher gehen, wie man so sagt, „gut aus'. Das nehmen ihm manche zeitgenössischen Kritiker übel. Sie wollen keine intakten Familien, auch nicht das Bemühen darum. Die Wirklichkeit sei anders. Sie fordern „die Poesie des Scheiterns". Als ob man in einer so kaputten Welt wie der unseren nicht froh sein dürfe um jede Möglichkeit einer Chance - zumal für Kinder.

Der Lyriker Härtling spricht eine andere Sprache als der Autor der Romane und Erzählungen. Sie trifft wie die Prosa, ist aber dem Traum verwandter. Welche Wirklichkeit, welche Wirksamkeit der Autor Gedanken, Worten und Träumen zutraut, geht aus einem Vers hervor (aus dem Gedicht „Nun gehen alle Kinder schlafen"), wo es heißt: „Treiben Träume den Umlauf der Welt".

Daß Härtung Gestalten wie Hölderlin und Mörike zum Thema wählt, dürfte kein Zufall sein.

Hier hat er „Heimvorteil", denn als Kind kam er ins „Ländle", jenes Schwaben, das so viele geniale Menschen hervorgebracht hat. Er ist in Nürtingen aufs Gymnasium gegangen, hat die Sprache des Landes nicht nur gelernt, sondern gelebt. Ihre Musikalität ist die seine. Hier - wie auch sonst in seiner klaren Sprache - gibt es keine falschen Töne.

Von einem Buch muß noch die Rede sein, nämlich „Nachgetragene Liebe". Ich halte es für eines der besten Vaterbücher der letzten Jahrzehnte. Hier dient die Figur des Vaters nicht als Schuttabladeplatz für eigene Unzulänglichkeiten, sondern als Anlaß, sich um Verständnis zu bemühen, den Abstand zwischen Vater und Sohn zu überbrücken.

Daß Peter Härtling „ein bis- ■ serl" ein Salzburger ist, ist längst ein offenes Geheimnis. Mit Be-schluß des Gesamtkollegiums der Hochschule Mozarteum erhielt er die Gastprofessur für Poetik (als zweiter Dozent nach Isang Yung) und wird im Jänner 1994 mit seinen Vorlesungen beginnen.

GESAMMELTE WIRKE IN NEUN BÄNDEN.

Von Peter Härtling. Herausgegeben von Klaus Siblewski Band 1) bereits erschienen, die weiteren folgen 1994. Luchterhand Literaturverlag, Hamburg.

„...UND GEHEN IN WORTEN SPAZIEREN".

Briefe an Peter Härtling 195)-9). Luchterhand Literaturverlag, Hamburg 1991 Ca 112 Seiten, öS 156,-.

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