Alles immer ohne mich

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Marica Bodrožic´' Lyrik erzählt von Dalmatien und den großen Themen des Lebens.

Man muss es gleich zu Beginn sagen: Marica Bodrožic´' Lyrikband ist ein wunderbares Buch in bildreichen Farben, Tönen und Sprachen. Die im heutigen Kroatien geborene Schriftstellerin erschafft in ihren Gedichten eine neue, fremde, fesselnde Welt.

Spuren der großen Themen ragen in sinnlich spürbare, metaphorisch gesäumte Worttäler hinein, in denen Blüten treiben, leuchten und strahlend "verröten". Man hält inne beim in Zöpfen geflochtenen Fatum, beim "Herzmittelalter", beim "Flaum der Buchstaben" oder bei den "Laternen", die "Gedächtnisse werden". Da sind Szenen aus der griechischen Mythologie, in deren Brennpunkt eine zunächst schöne, weinende, sich schuldig fühlende Helena steht. Der poetische Blick auf Helena ist ein neuer, patinaloser, der der Geschichte eine andere Färbung gibt. Aber schließlich geht es in dieser Lyrik vor allem auch um Licht und Liebe, um die Dimension der Zeit, eingeschrieben in den Zyklus des Lebens, Werdens und Vergehens, um Natur, Stimmungen und Situationen, in denen das Leben reift - manchmal gespiegelt in der Welt der Sterne.

"Gesättigter Herzrat", heißt es im Eröffnungsgedicht, "Die Krieger sind ausgewandert, / vom Exil berufen, in ein neues Zeitalter. / Sag mir, Rose, gehen sie jetzt ins Licht?" Oft erzählt Bodrožic´ von ihrer Heimat Kroatien, vom Krieg, von Veränderungen und Erinnerungen und von der "Liebe zur See und zu Schiffen", die rührt aus einer Zeit "vor den Bildern und Sinnen".

Im fremden Land

In diese dicht gewebte Poesie fallen auch Fragmentflocken aus dem eigenen Leben. Ein berührendes Gedicht - "Aus der Hand gab er ein Gold" - gilt ihrem Vater, der, wie man nachlesen kann, zusammen mit seiner Frau seine Heimat verlassen hat, um in Deutschland zu arbeiten.

Erst viel später ist sie den Eltern in das fremde Land gefolgt: "Der Vater war allein. Einsam sein Leben, / verlassen sein Haus, / seine Tochter sein Garten seine Hosentaschen: / Aus der Hand gab er und gab er und gab er / alles was er hatte gab er / bis er nichts mehr hatte. / Als er gar nichts mehr hatte / nicht sich / nicht seine Vergangenheit / nicht sein Nicht / gab er / aus der leeren Hand nahm er die Kraft / den Segen und sang mit sich selbst …" Dieses Gedicht zeigt das Schicksal des Gastarbeiters, der für die Mühen eines besseren Lebens das Eigene aufgeben muss.

Unterröcke der Geschichte

Bodrožic´' Erinnerungen tönen manchmal bitter, wenn es um die Beziehung zu den Eltern geht: "Alles immer ohne mich. / Bevor die Eltern für sich / fortgingen, nannten sie mich / mit einem anderen Namen, / nannten mich Meernah und Hell. / Der Sommer zog lange / nur über meinen Schatten, / zog nie ein, zog nur dahin." Während die Mutter aber in die Stadt der Tochter zurückkehrt und "Mariä Himmelfahrt aus ihren Taschen" fallen lässt, bleibt der Vater im Hintergrund, ohne Präsenz und in der Ferne.

Die Erinnerungen an Kroatien führen Bodrožic´ auch durch die mediterrane Vegetation ihres Landes, zu "Sonnentau" und singendem Gras, zurück zum Himmel, der über den Orangenbäumen ein anderer ist: "Die Fruchtaugen haben ihre eigenen Koffer." Und zwischen "den Unterröcken der Geschichte", denn das Neue kehrt ein, nachdem ein Staat zusammengefallen ist, taucht das lyrische Ich in die Welt der Bücher ein, durch die, wie sie schreibt, eine "gute Straße führt". Behutsam und tastend ist jene Sprache, die die Liebe beschreibt, die "in Stille eingefärbten Körper" zeigen sich als Wunder, als "Gleichungen der Sehnsucht", wenn sich die Möglichkeit auftut, sich am "Herzrand" auszuruhen.

Behutsam und tastend

Bodrožic´' Gedichte zeichnen sich durch sprachliche Kunstfertigkeit aus und führen in polyphone Traumlandschaften der Poesie. Eine tiefgründige und sensible Aneignung von Welt ist es, die aus dieser Lyrik leuchtet.

Ein Kolibri kam unverwandelt

Gedichte von Marica Bodrožic´

Verlag Otto Müller, Salzburg 2007

88 Seiten, geb., € 17,-

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