Booklet 8 - © Foto: iStock/ Bertrand Blay

Vom Verschwinden der Gewissheiten

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Anton Thuswaldner über "Der Mars ist wüst" von Margarita Fuchs.

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Anton Thuswaldner über "Der Mars ist wüst" von Margarita Fuchs.

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Wäre alles im Lot, müsste so eine wie Margarita Fuchs nicht schreiben. Literatur entsteht ja aus einem Unbehagen oder einem Mangel, sie ist dann zur Stelle, wenn etwas aus den Fugen geraten ist. Aber das muss man erst einmal bemerken. Margarita Fuchs ist nicht zuständig für die großen Umbrüche in der Geschichte, die ganze Völker ins Unglück stürzen, sie ist eine Beobachterin des Alltags. Und der ist alles andere als eine gemäßigte Zone, es brodelt und kocht nämlich ständig im Untergrund. Es ist nicht weithin sichtbar, wenn Menschen zusammenleben, denen vieles zur Normalität geworden ist, worüber andere, etwas abseits stehend, nur staunen. Sie fügen sich eben ins Vermeidbare. Seltsam, die Zeichen für die Disharmonien sind sichtbar, man muss sie nur als solche erkennen. Im neuen Erzählband von Margarita Fuchs lässt sich erkennen, wie, was für die einen Alltag ist, für einen Beobachter von außen die Alarmglocken schrillen lassen kann. Das bewirken die kleinen tektonischen Verschiebungen in den Beziehungen. Wenn alles den gewohnten Gang geht, darf man sich gut aufgehoben fühlen. Aber das lässt unser Leben nicht zu. Eine Zwanzigjährige ist als Zeugin vor Gericht geladen, nachdem ein LKW-Fahrer das Auto einer Studentin touchiert, in einen Schrottzustand verwandelt und Fahrerflucht begangen hatte. Als Richterin fungiert Alix, mit der die Erzählerin „über drei Ecken verwandt“ ist. Die ist eine, von der die Mutter meint, dass sie nicht zu ihnen passe. Nicht, dass die Mutter viel wüsste von Alix, wie denn auch, es besteht ja kaum Kontakt, aber sie hat sich ihr Bild schon gemacht.

Die Wirklichkeit im Kopf ist die, die zählt. Das bemerkt auch die Erzählerin, dass die Sache mit der Wirklichkeit ausgesprochen heikel ist. Die Zeugin des Unfalls: „Wie hätte mir auffallen sollen, dass sich Realität je nach Wahrheit verbog, ja verflüchtigte?“ Mit solch einem Satz stoßen wir auf den Kern der Poetik von Margarita Fuchs. Es gibt die Realität und die Wahrheit, beide haben miteinander zu tun, sind aber nicht identisch. Realität ist der Wahrheit untertan, und die Wahrheit ist ein Konstrukt.

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