Lander - © Foto: Olga Lander, Archiv Erich Klein

Elektrifizierende Gedankenwelt

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Obwohl überzeugter Kommunist, konnte der Ingenieur und Autor Andrej Platonow aufgrund seiner antitotalitären Gesinnung zu Lebzeiten wenig publizieren. Nun kann das Werk des sowjetischen Schriftstellers in neuer Übersetzung entdeckt werden.

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Obwohl überzeugter Kommunist, konnte der Ingenieur und Autor Andrej Platonow aufgrund seiner antitotalitären Gesinnung zu Lebzeiten wenig publizieren. Nun kann das Werk des sowjetischen Schriftstellers in neuer Übersetzung entdeckt werden.

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„Der Mund der Erde ist halb geöffnet. Unsere Aufgabe ist es, ihn ganz zu öffnen.“ Was der 23-jährige angehende ­Sowjetschriftsteller Andrej Platonow (1899–1951) in seinen Artikeln über Aufgabe und Zukunft des Kommunismus in Zeitschriften wie Rotes Dorf publizierte, entsprach ganz dem Geist der Zeit. Hieß es bei einem Lenin „Kommunismus ist Sowjetmacht plus Elektrifizierung des Landes“, brach bei Platonow das „goldene Zeitalter“ des Sozialismus materialistischer und mit mehr Metaphorik an: „Die Elektrifizierung ist die Verwirklichung des Kommunismus in der Materie: in Stein, Metall und Feuer.“

Als erstes von zehn Kindern eines Eisenbahnschlossers im zentralrussischen Woronesch 1899 geboren, besuchte Andrej Platonow eine Konfessionsschule und wurde am örtlichen Polytechnikum zum Elektroingenieur ausgebildet. Während des Bürgerkrieges schlug er sich auf die Seite der Bolschewiki – womit auch seine Karriere als Korrespondent und Verfasser zahlreicher Artikel und Aufsätze begann, die sich vor allem durch Messianismus auszeichnen. Die kürzlich unter dem Titel „Frühe Schriften zur Proletarisierung 1920–1927“ erschienenen „Gedanken eines Kommunisten“ sprechen eine zwischen Philosophie, Technik und Kultur mäandernde Sprache von unten: „Die Elektrifizierung wurde von den russischen Arbeitern und Bauern erfunden, die auch den Kommunismus erfunden haben.“ Mit Lenin, der bekanntlich auf Arbeitsorganisation à la Henry Ford und weniger auf Marx setzte, teilt Platonow die Bewunderung für Amerikas Technik, allerdings nehmen seine Überlegungen bald höchst praktischen Charakter an.

Faustisch bis Nietzscheanisch

In der ersten Hälfte der 20er Jahre als „Meliorator“ bei der Landgewinnung in Zentralrussland und Mittelasien tätig, macht er die Erfahrung großer Dürrekatastrophen, die seine Überzeugung, nur der Kommunismus könne die Probleme der Zeit lösen, bestätigen: „Die große kosmische Katastrophe vereint, verbrüdert die Menschheit und zwingt sie, die Schläge der Natur zu erwidern.“ Platonow konzipiert utopisch detailreiche Pläne zur „Erhöhung des Wasserkoeffizienten“ – ganze Landstriche seien durch „Sprengung der Reliefkonstruktion“ umzugestalten; mit „elektromagnetischen Methoden“ gelte es, in das Innere der Materie vorzudringen, um den „Rhythmus der Elemente“ zu verändern. Derart wissenschaftlich-technischen Betrachtungen stehen die nicht weniger faustischen oder besser gesagt nietzscheanischen Überlegungen zu Erziehung und Propaganda, zu Journalismus und Literatur zur Seite. Es geht um einen neuen Homo Sovieticus: „Der Kapitalismus schafft Idioten, der Sozialismus begabte Menschen.“ Nicht ohne Kraftmeierei weiß Platonow auch die Literatur in einem umfassenden roten Ideen-Kosmos aufgehoben: „Die Kunst gehört, wie das Schwitzen zum lebendigen Körper, wie die Bewegung zum Wind, organisch zum Leben.“

Dass sich Andrej Platonow mit seiner Entscheidung für eschatologisch imprägnierte literarische Mittel auf die falsche Seite proletarischer Kunst geschlagen hatte, sollte sich alsbald herausstellen. Ab Ausrufung des Sozialistischen Realismus zur offiziellen ästhetischen Doktrin war jede radikal eigene Stimme, und sei sie noch so „kommunistisch“, der Unterdrückung unterworfen. Stalin selbst schrieb an den Rand eines Platonow-Manuskripts: „Dreckskerl!“ Ein Hilferuf an Maxim Gorki, Unterstützer zahlreicher literarischer Abweichler, blieb unbeantwortet – dem nicht genug, der einstige „Feuervogel“ distanzierte sich von Platonows Schreiben, das „an einen finsteren Albtraum grenzt“. Abgesehen von Artikeln als Zeitungskorrespondent im Zweiten Weltkrieg sollte Andrej Platonow zu Lebzeiten kaum mehr publizieren.

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