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Eine Biografie erzählt das Leben des Salonlieblings und Revolutionärs Nicolas Chamfort.

Der von Witz und Charme sprühende Salonliebling und Frauenheld Nicolas Chamfort kostete das Leben vor und nach der Revolution 1789 in vollen Zügen aus. 1740 geboren, machte er als armer Abbé und Hauslehrer in Adelskreisen Karriere. Als Autor fasste er mit zwei Stücken Fuß am Theater, blieb aber doch ein Schriftsteller ohne Werk, wenn man von seinen auf ungezählten Zetteln hinterlassenen Aphorismen, Maximen, Epigrammen absieht - was man freilich nicht kann, gehören sie doch zum Glanz- und Geistvollsten, das in seiner Zeit geschrieben wurde.

Chamfort - ein Literat wider Willen, der seinen Un- und Widerwillen auch zu begründen suchte: "Man hat beobachtet, dass die Naturwissenschaftler, Physiker, Zoologen, Physiologen, Chemiker gewöhnlich gleichmütige und im Allgemeinen glückliche Charaktere waren, hingegen traurige, melancholische die Politiker, Gesetzgeber, Moralisten. Doch dies ist leicht erklärlich. Die einen studieren die Natur, die andern die Gesellschaft. Die einen betrachten die Schöpfung, der Blick der andern ruht auf den Werken der Menschen."

Die Literatur hat sich an ihm gerächt, indem sie ihn unter die Moralisten reihte. Für Nietzsche war er gar der "witzigste der Moralisten … ein Mensch, reich an Tiefen und Hintergründen der Seele, düster, leidend, glühend - ein Denker, der das Lachen als das Heilmittel gegen das Leben nötig fand und der sich beinahe verloren gab an jedem Tage, wo er nicht gelacht hatte …" Nietzsche erkannte wohl einen Geistesbruder und Mitstreiter bei der Umwertung aller (christlichen) Werte in Chamfort, der immerhin gefordert hatte: "Wenn man seinen Nächsten lieben soll wie sich selbst, so ist es mindestens ebenso gerecht, sich selbst zu lieben wie seinen Nächsten."

In seinen geistvollen, vor Adelsverachtung, Menschenfeindlichkeit und Kulturpessimismus glühenden Aperçus führt Chamfort ein fortwährendes Duell - gegen das Publikum, gegen die Gesellschaft seiner Zeit, gegen die Zukunft, gegen die Natur und sich selbst. So richtet er die Abwehrwaffe der Intelligenz beharrlich gegen die ihn quälenden Zumutungen von Dummheit, Hoffart und Infamie. Er zeigt die Kehrseite des Zeitalters, das jene hedonistische Elite hervorgebracht hat, die sich wie keine vor ihr glücklich schätzte, auf Kosten der überwältigenden Mehrheit zu schwelgen.

Mitstreiter, Menschenfeind

Aber der vorrevolutionäre Chamfort hat keine Utopie, an die er glaubt, keinen Idealstaat, den er sich wünscht, keine auch noch so persönliche Zielvorgabe für sein Leben. Misogyn, kinderfeindlich, gekränkt durch seine erniedrigende Herkunft als bei Zieheltern aufgewachsenes außereheliches Kind einer Provinzadeligen und eines Domherren, zieht er sich 1785 verbittert von der bislang von ihm weidlich als Karriere-Steigbügel benützten Spätaristokratie in die ländliche Einschicht zurück: "Wer mit vierzig Jahren kein Menschenfeind ist, hat die Menschen nie geliebt", ist seine Ausrede, vor allem vor sich selbst.

Umso überraschender, dass er wenig später in Gefolgschaft des "Donnerkeils" Mirabeau höchst aktiv mit dem aus Amerika übergesprungenen Freiheitsfunken die Revolution in Paris anzufachen sucht. Es ist, als bildete sich in Chamfort auf dem tiefsten Grund der Negation, gleichsam im Bodensatz von Menschenhass und Selbstvergiftung, wie durch einen dialektischen Stoffwechsel die Apologie des radikalen Umsturzes.

Vulkanische Ausbrüche

In seiner "Ode auf die Vulkane" findet er für diesen Neubeginn seiner selbst und der Zivilisation das apokalyptische Bild einer feurigen Sintflut, deren Lavastrom die ruinöse Ordnung vernichtet, um alles neu zu begründen. Beunruhigend, wie selbstbezogen dieses Katastrophenbild auch eingesetzt wird: "Bedeutende Menschen haben ihre besten Werke nach der Zeit der Leidenschaften geschaffen. Nach den vulkanischen Ausbrüchen ist die Erde am fruchtbarsten."

Er wurde begeisterter Citoyen und - im Gegensatz zum Royalisten Mirabeau - Republikaner: "Man muss seine Wahl treffen? Ich schwanke nicht: Ich will Volk sein." Claude Arnaud, Chamforts umfassend beschlagener biographischer Wiederentdecker, formuliert es unmissverständlich: "Sein Ich sollte wie die Bastille fallen, indem es ihn mit der Welt versöhnte. Er wollte gleichzeitig sein Problem und die Missstände der Monarchie überwinden, seine eigene Verbitterung und den Hunger beseitigen …" Mitten im sozialen Aufruhr und Umsturz prägte Chamfort eine revolutionäre Parole um die andere. "Willst du nicht mein Bruder sein, so schlag ich dir den Schädel ein" wurde während der Tyrannei der Commune die bitterste. Die Armen nannte er schlichtweg "die Neger Europas".

Als Direktor der Nationalbibliothek veranstaltete er nach der Ermordung Marats für dessen Mörderin Charlotte Corday eine Hommage. Im Sommer 1793 wurde er unter dem Verdacht konterrevolutionärer Umtriebe kurz in den Kerker geworfen. Um bei einer neuerlichen Verhaftung nicht abermals ins Gefängnis zu müssen, fügte er sich bei einem wahren Gemetzel der versuchten Selbsttötung so schwere Wunden zu, dass er einige Monate später, im Mai 1794, starb.

"Der brutalste Selbstmord"

Es war "der brutalste und grausamste Selbstmord der Schreckenszeit", urteilt Arnaud, der für seine auch kulturgeschichtlich aufschlussreiche Chamfort-Studie schon vor Jahren verdientermaßen den "Prix de l'essai de l'Académie Française" erhielt. Sie findet endlich ihren Weg zur deutschsprachigen Leserschaft, bei der Chamforts Geistesblitze in Sentenzenform, dank Friedrich Schlegels Wertschätzung ihrer "fragmentarischen Genialität", früh schon Anerkennung gefunden hatten: Neben Nietzsche gehörten Lichtenberg, Schopenhauer, später auch Benn und Heiner Müller zu den passionierten Chamfort-Lesern.

Dass sie die mit Esprit gefüllten Satzpralinés überhaupt serviert bekamen, verdanken sie Chamforts engstem Freund und Schüler Guinguené: Er sicherte einen Großteil jener vollgekritzelten Zettel, die der Verstorbene haufenweise in ein paar Kartons gestopft hinterlassen hatte.

Chamfort

Die Frauen, der Adel und die Revolution

Biographie von Claude Arnaud

Aus d. Franz. von Ulrich Kunzmann

Matthes & Seitz Verlag, Berlin 2007

526 Seiten, geb., € 41,-

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