Das wunderbarste Märchen ist das Leben selbst

Werbung
Werbung
Werbung

Hans Christian Andersen ist zeit seines Lebens oft und gern gereist. Sein ganzes Werk, nicht bloß sein berühmter fliegender Koffer, ist gefüllt mit Reisemotiven. Da liegt es nahe, eine illustrierte Biografie für Kinder über den dänischen Märchenerzähler als Reisegeschichte anzulegen. Wie die junge slowenische Illustratorin und der vielbepreiste österreichische Autor dies in Bild und Text bewerkstelligen, ist allerdings von der ersten bis zur letzten der 56 bestechend durchkomponierten Bilderbuchseiten beeindruckend und überraschend.

Schon auf dem Titelblatt lässt Maja Kastelic eine däumelinchengroße Andersen- Figur losfliegen, als Passagier eines Schwans und begleitet von einer Handvoll Schwalben. Zwei textlose Seiten später sieht man diese Figur als bereits betagten und nunmehr berühmten Künstler in einer Kutsche nach Kopenhagen sitzen. Sein Gegenüber, ein siebenjähriges Mädchen namens Elsa, stellt Andersen die einfache, wenngleich in den Augen der mitreisenden Mutter unhöfliche Frage: „Bist du alt?“

Der Glaube an die eigene Zauberkraft

Ein neugieriges Kind also und ein schöner erster erzählerischer Kniff. Denn aus der freundlichen und besonnenen Antwort des Künstlers entfaltet Heinz Janisch einen Dialog, der sich zu einer Rückschau auf Leben und Werk weitet. Die beginnt zwar typisch märchenhaft, aber doch vorerst einmal für alle, die den vorneweg im Buch angeführten Andersen-Spruch „Das wunderbarste Märchen ist das Leben selbst“ noch im Ohr haben, düster: „Es war einmal ein Junge, der hatte es am Anfang seines Lebens gar nicht leicht. Anders gesagt, seine Kindheit hatte ganz schöne Löcher, durch die ein rauer, kalter Wind blies.“

Während der Text sich im Weiteren auf Kindheit und Jugendjahre konzentriert, von Armut, Krieg und dem Tod des Vaters erzählt, sind die begleitenden Bildpanels stimmig in zurückgenommenen Braun- und Grautönen ausgeführt. Die anheimelnden Farben des Anfangs – das Blau von Elsas „Knisterkleid“ und die rosigen Töne ihrer Wangen und ihrer Puppe – kehren aber zurück, fulminant und leuchtend im letzten Drittel des Buchs. Ein Bilder-Reigen über mehrere Doppelseiten, in denen Kastelic ein komprimiertes Best-of der Märchen Andersens bietet und Janisch auf engem Raum den eigentlichen Kern der Geschichten und darüber hinaus verschiedene Spiel- und Wirkarten von Literatur umreißt.

Insgesamt ist diese Hommage auf ein großes Werk ein Anlass zur neuerlichen Lektüre, verständlich erzählt für jüngere Kinder und doch so raffiniert voller versteckter und nur angedeuteter Details, dass selbst versierte Andersen-Kenner beim wiederholten Schauen und Lesen Neues entdecken werden. Auch das ist ja ein Reiz der „Zauberwelt“ Literatur, die hier beschworen wird. Die Kraft und Macht von Büchern. Schließlich ist es das Märchenbuch des Vaters, das dem jungen Hans Flügel schenkt, ihn das Fliegen lehrt und entscheidenden Anteil daran hat, dass der Junge, allein in der fremden Stadt, an sich glaubt. Und so ist dieses Buch eine stete Ermutigung für das kindliche Selbstwertgefühl und den Glauben an die eigene Zauberkraft. Vielleicht gelingt es ja nicht. Das Zaubern. Aber man muss es zumindest versuchen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung