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Nurmi oder die Reise zu den Forellen

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Wer hat als Kind nicht davon geträumt, mit dem Lieblingsgroßvater oder dem Lieblingsonkel eine Abenteuerreise zu unternehmen? Zum Beispiel auf der Suche nach jenem geheimen Loch, durch das man aus der Welt schlüpfen könnte? Ein solcher Wunschtraum wird für den Helden in Kopfs neuem Buch Wirklichkeit: Zusammen mit Onkel Nurmi bricht der Junge zu einer Beise nach Finnland auf, zu einer Fata Morgana aus Birken, Felsen, Sumpf und Wasser.

Der Onkel ist ein eigenbrötlerischer Junggeselle, im bürgerlichen Beruf Professor der Medizin, was aus der Sicht des Neffen „Erzähler an der Uni” heißt. Die international anerkannte Kapazität erhält den Ehrendoktor der Universität Helsinki.

Kaum ist die akademische Zeremonie überstanden, mieten die beiden einen Volvo und suchen nach Flüssen, in denen es sich lohnt, im Wasser zu stehen und auf den großen Fisch zu warten. Nurmi hat den legendären Mister Macle-an gekannt und zeigt dem Neffen, wie aus der Mitte ein Fluß entspringt. Köpf erzählt die Initiationsgeschichte in einer eleganten Schlichtheit, die kein Wort zuviel verliert und dem Leser Freiraum läßt. Wir Leser sind es, die dem Geheimnis um den Onkel Nurmi auf die Spur kommen sollen, obwohl wir es nie ganz lösen werden. Ks hat mit Nurmis gescheiterter Liebe zu einer Frau aus Dresden zu tun, die später zur „Hexe von Buchenwald” geworden ist. Wer kann wissen, was in einem Menschen vor sich geht, der seine Erinnerungen abträgt und mit seinen Gespenstern allein bleibt?

Kopfs Text ist nicht nur eine Bei-segeschichte auf den Spuren von Huckleberry Finn und Tom Sawyer, sondern auch ein Buch über Illusion und Enttäuschung, Vergessen und Erinnern, Siegen und Verlieren. Nurmi ist nämlich ein würdevoller Verlierer, „dessen Kopfwolken sich zuletzt als angestochener Luftballon herausstellten”. Wie in den Büchern „Bluff” und „Papas Koffer” schickt Köpf Mentor und Schüler auf die Beise, damit sie die Würde des Scheiterns kennenlernen, wie einst die Helden Hemingways. Nurmi ist früher ein sehr guter Läufer gewesen, der sein größtes Bennen gegen die finnische Lauflegende verloren und daher seinen Spitznamen hat. Diese vernichtende Niederlage, geschildert in einem furiosen Stück Prosa, war zugleich sein wichtigster Sieg, der ihm den Weg in sein wahres Metier gewiesen hat.

Köpf lenkt den Blick zurück auf die Kunst der natürlichen Fortbewegung, des aufrechten Ganges und der geduldigen Langsamkeit. Im ruhigen Bhythmus der Beharrlichkeit wird eine einfache Geschichte erzählt, die immer weiter hinaufführt auf dem Fluß, „der aus der Kindheit herüber durch unsere Erinnerung rauscht”. Umwege und Irrfahrten führen lohnender zum Ziel, denn das Nomadisieren ist wichtiger als das Ankommen. Folgerichtig gelingt es Onkel und Neffe, sich bei der Kreuzquerfahrt durch das finnische Labyrinth mit den nach japanischem Skiwachs klingenden Namen gnadenlos zu verfahren. Dafür gibt es fabelhafte Fischgewässer, fette Forellen vom Grill und Lagerfeuergeflunker, will sagen: Nurmis Anglerlatein, wobei sich Kopfs Fabulierlust austoben kann. Er spinnt ein feines Netz literarischer Verweise von Mark Twain über John Irving und Siegfried Lenz bis zu Joseph Both, die sich alle wunderbar in die Geschichte von Nurmi einfügen. Onkel Nurmi gehört zu den liebenswertesten Geschöpfen Kopfs, und diese Erzählung zu den schönsten Büchern des Autors.

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