Werbung
Werbung
Werbung

Aus Bruchstücken baut Dagmar Leupold die Gestalt ihres Vaters.

Die deutsche Schriftstellerin Dagmar Leupold ist vor allem mit ansprechenden Gedichtbänden bekannt geworden. Mit einem Thema, das sie wohl Jahre intensiv eingenommen hat, beschäftigt sie sich nun im "Roman eines Lebens" über ihren - 1913 in der deutschsprachigen Enklave Bielitz in Polen geborenen und 1986 verstorbenen - Vater Rudolf Leupold.

Als der Vater im Sterben liegt, muss sie noch vor seinem Tod wieder abreisen, und als er beerdigt wird, kommt sie wegen einer Flugzeugpanne zu spät, so dass der Abschied misslingt. Die Gestalt des Vaters bleibt für die Tochter irgendwie fern, undeutlich und widersprüchlich. Die Schriftstellerin erfindet ihn sozusagen schreibend und gibt ihm im Roman "Nach den Kriegen" Gestalt.

Dagmar Leupold geht den Spuren seines Lebens fragend nach. Es entsteht ein anschaulicher und deutender Text, eine eher behutsame Annäherung an einen liberalen Deutschen, der zwar Willy Brandt verehrte, aber die FDP wählte. Sie legt Geschichten frei, die hinter einem Wall familiärer Legenden verborgen sind und sich erst nach dem Tod des Vaters fassen lassen. Erkenntbar wird die entscheidende Dynamik dieses Lebens, der geradezu verzweifelte Geltungsdrang, der sich in der NS-Zeit im Deutschnationalismus und dann, nach dem Krieg, wieder in der Mathematik äußert, schließlich in der Vorstellung zu schreiben. "Neben dem Wunsch, Dichter sein zu wollen, gab es noch den Adel."

Als die Autorin auf die Welt kommt, ist Rudolf Leopold "42 Jahre alt, Studienrat für Mathematik und Physik". Im Krieg hat er vier Finger verloren und seine unversehrte Haut, hat er doch "Einschussnarben in den Beinen". Wir erfahren, dass er fließend Polnisch sprach, Wutausbrüche bekommen konnte und scharfzüngig war. In der Nachkriegszeit ist er der durchschnittlichste Deutsche überhaupt: Hauskauf, Anschaffung des ersten Fahrzeugs und Fernsehers, Urlaub, natürlich in Pörtschach am Wörthersee, wo Doktor Leupold noch der Herr Professor ist. Die Entscheidung zum Fernseherkauf fällt an dem Tag, als Beate Klarsfeld Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger öffentlich ohrfeigt. Das Leben der Kinder neben dem schlecht gelaunten und unbarmherzigen Vater wird beim gemeinsamen Fernsehabend zum ersten Mal "fast gemütlich".

Bevor sein eigenes Leben richtig begonnen hatte, sei er schon deutsch-national radikalisiert und für die Zukunft schwer belastet worden. Am 1. April 1941 sei er in die NSDAP aufgenommen worden. Der Antisemitismus sei auch in seinem Leben ein "konstitutives Element" gewesen. Ein Nationalsozialist sei er aber nur so lang geblieben, "wie es ihm zum Vorteil gereichte". Später sei er nur noch ein unauffälliger und liberaler Bildungsbürger gewesen.

Der Klappentext - und nicht die Autorin! - versucht offensichtlich, Rudolf Leopold zu einem relativ bedeutenden Nationalsozialisten hochzustilisieren. Die Recherche in den Personallexika zum Dritten Reich ergibt jedoch, dass dieser Mann lexikalisch nirgendwo aufscheint und im eigentlichen nichts anderes als ein so genannter Mitläufer war. Ein Mitläufer, ohne den die Vernichtungsmaschinerie nicht gelaufen wäre.

Dagmar Leupold hat aus verschiedenen Bruchstücken die Gestalt ihres Vaters gebaut. Mit dem Roman kann sie natürlich nicht alle Lücken der Vatergeschichte schließen und dies war auch nicht ihr Ziel. Ihre Intention war es wohl, die Mentalität, das Schicksal, das Handeln und das Versagen einer Generation zu beschreiben. Das Resultat ist nicht unbedingt ein (zeit)geschichtliches Dokument, zweifellos ist es aber klug und poetisch zugleich. Jedenfalls ist es das Buch einer integren Schriftstellerin, die schreiben und erzählen kann.

Nach den Kriegen

Roman eines Lebens

Von Dagmar Leupold

Verlag C. H. Beck, München 2004

Leinen, 220 Seiten, e 18,40

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung