Sprache - © Foto: Pixabay

Wie Sprache die Wirklichkeit korrumpiert

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Das Besondere an dem Buch, das es so erschreckend heutig aussehen lässt, ist die Fähigkeit Regers, die Mechanismen von Macht aufzudecken und zu zeigen, wie durch eine Sprache der Propaganda Wirklichkeit verwischt wird und Halbwahrheiten die Oberhand gewinnen.

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Das Besondere an dem Buch, das es so erschreckend heutig aussehen lässt, ist die Fähigkeit Regers, die Mechanismen von Macht aufzudecken und zu zeigen, wie durch eine Sprache der Propaganda Wirklichkeit verwischt wird und Halbwahrheiten die Oberhand gewinnen.

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Klar, dass Erik Reger bei den Nazis nicht gut angeschrieben war. Sein Roman „Union der festen Hand“, 1931 erschienen, wurde wie sein zweiter Roman „Das wachsame Hähnchen“ nach der Machtergreifung kurzerhand verboten. Reger übersiedelte mit seiner Familie in die Schweiz; weil er dort nicht arbeiten durfte, kehrte er 1936 nach Deutschland zurück. Er passte sich an, arbeitete als Lektor, veröffentlichte unverfängliche, unpolitische Romane und arbeitete als Journalist. Nach dem Krieg war er wieder als kritischer Kopf gefragt – die typische deutsche Karriere eines Wendehalses aus Not. In einer Leitartikelserie des Berliner Tagesspiegels, dessen Mitherausgeber und Chefredakteur er wird, geht er mit den Deutschen hart ins Gericht und tritt als Mahner vor totalitären Versuchungen in Erscheinung. Sein großes Vorbild sind jetzt die USA.

Der erste Roman des 38-Jährigen – er ist uns jetzt wieder zugänglich gemacht worden – zählt zu den großen Büchern der Zwischenkriegszeit. Er leistet tatsächlich Unerhörtes. Er überführt ein so sperriges Thema wie die Wirtschaft ins Erzählerische. Die Vertreter der Schwerindustrie des Ruhrgebiets stellt er als so einflussreiche wie skrupellose Entscheidungsträger bloß, die direkt Einfluss auf die Politik nehmen. Das Buch ist „dem deutschen Volke“ gewidmet, dem die Augen übergehen sollen angesichts der ausgesprochen kenntnisreichen Darstellung politischer und sozialer Verhältnisse. Nicht „die Wirklichkeit von Personen oder Begebenheiten“ werde vermittelt, heißt es in der „Gebrauchsanweisung“ zu Beginn, „sondern die Wirklichkeit einer Sache und eines geistigen Zustandes“. Unterstrichen wird das dadurch, dass am Ende jeden Kapitels ein Bericht des Generalanzeigers angehängt ist, zur Beglaubigung der Fiktion als Auskunftgeber über die unmittelbare Gegenwart. Es leuchtet ein, dass dieses Vorgehen gar nicht erst vorsieht, einzelne Figuren herauszustreichen, um an ihnen aufzuzeigen, wie sie gebeutelt werden. Es geht um das spezifische Klima der zwanziger Jahre des vorigen Jahrhunderts, in dem der Einzelne keine Rolle spielt, sondern als Repräsentant einer Gruppe wahrgenommen wird.

Das Besondere an dem Buch, das es so erschreckend heutig aussehen lässt, ist die Fähigkeit Regers, die Mechanismen von Macht aufzudecken und zu zeigen, wie durch eine Sprache der Propaganda Wirklichkeit verwischt wird und Halbwahrheiten die Oberhand gewinnen. Ein Lehrstück für unsere Zeit.

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