Russland und Putin: Abgehakt

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Die "Rochade im Tandem“ von Putin und Medwedjew spricht für Ruhe in Russland, nicht für Reformen, meint die Frankfurter Allgemeine.

Die Kommandeursstimme habe er nicht verloren, scherzte der russische Ministerpräsident Putin, als er während seiner Ansprache auf dem Wahlparteitag der Kremlpartei "Einiges Russland“ seinen Stimmbändern vorübergehend einiges abverlangen musste, weil das Mikrofon ausgefallen war. Mit oder ohne Lautsprecher ist ohnehin klar, dass Russland auf das Kommando des starken Mannes hört. Seit elf Jahren hält er die Macht in Händen. Möglicherweise wird Putin bis zum Jahr 2024 im Kreml regieren. Präsident Medwedjew dankte am Wochenende auf ziemlich blamable Weise ab. Er verzichtete auf die Bewerbung um eine zweite Amtszeit und soll nun als Spitzenkandidat die Partei in die Dumawahl im Dezember führen und danach als Ministerpräsident mit einer verjüngten, energischen Mannschaft tiefgreifende Reformpolitik machen.

Putin wird im Frühjahr sicherlich wieder Präsident werden. Ob aber Medwedjew Regierungschef wird, ist nicht ausgemacht. Putin wird ein zentrales Ergebnis seiner eigenen Politik nach dem vorübergehenden Abschied aus dem Kreml - die Umgewichtung der Machtverteilung in der russischen Exekutive zum Nachteil des Präsidenten und zugunsten der Regierung - wieder revidieren, wenn er abermals das höchste Staatsamt übernimmt. Auch deshalb gilt Medwedjew schon jetzt als Auslaufmodell.

Russland braucht Reformen - aber durch wen?

Nicht nur die politische Klasse und die Öffentlichkeit wissen es, auch Putin sagt es: Russland brauche Reformen und erwarte keine rosige Zukunft, solange es nicht gelinge, die von Medwedjew seinerzeit richtig als Krebsübel erkannte Korruption auszumerzen. Doch unter Putins Herrschaft ist das Land immer tiefer im Sumpf der Korruption versunken. Sie entsteht vor allem dort, wo Wirtschaft und Politik oder Wirtschaft und Justiz sich berühren. Nutznießer sind einerseits Russlands Bürokraten, andererseits Unternehmen, die ihren Erfolg durch Bestechung erkaufen und so den Wettbewerb verzerren. In den letzten Monaten sind im Zuge des offiziellen Kampfes gegen die Korruption zwar immer wieder auch hochgestellte Bürokraten verhaftet und angeklagt worden. An der Misere änderte das jedoch wenig.

Machtbasis Bürokratie

Putins Macht gründet sich zu einem guten Teil auf ebenjene Bürokratenkaste, die im letzten Jahrzehnt immer größer geworden ist. Ein ungeschriebenes Gesetz besagt, dass die Loyalität dieser Bürokraten dadurch erkauft wird, dass sie für ihre Durchstechereien kaum belangt werden. Die Befürchtungen aus den Reihen der außerparlamentarischen demokratischen Opposition, dass alles noch schlimmer werde, wenn Putin wieder im Kreml einzieht, mögen deshalb zutreffen. Doch sie kommen zu spät. Putin, der so gerne als Machtmensch auftritt, hätte längst etwas tun können, wenn er gewollt hätte.

Der Sieg Putins und dessen Partei wurde von Leuten wie der grauen Eminenz des Kremls, Wladislaw Surkow, bereits als "abgehakt“ bezeichnet. Daraus sprachen nicht nur die Arroganz der Macht und die Gewissheit, dass die Behörden - wenn nötig - im Interesse der Mächtigen bei den Wahlen "nachhelfen“, sondern auch blanker Zynismus. Das Lob eines hohen geistlichen Würdenträgers der orthodoxen Kirche Russlands setzte dem Ganzen die Krone auf. Er sagte, dass es in Russland noch nie eine so friedliche und problemlose Übergabe der Macht gegeben habe wie am Wochenende. Doch im Blick des Kaninchens auf die Schlange spiegeln sich die Desillusionierung der Gesellschaft und die Angst davor, was aus demokratischen Institutionen in Russland werden könne.

* Frankfurter Allgemeine Zeitung, 27. September

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