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Belgien und die Niederlande -Europas verletzlicher Körperteil

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Mangelnde Aufmerksamkeit und teilweise gezeigte Geringschätzung für das, was sich verteidigungspolitisch im westlichen Rücken der Bundesrepublik Deutschland in einem dahinschlei-chenden Prozeß vollzieht, könnten Konsequenzen haben, die Westeuropa noch einmal schwer, zu schaffen machen. Hiermit sind weniger die eurokommunistischen Vernebe-lungstaktiken in Italien und Frankreich gemeint. Vielmehr trifft es auf die sich unter ganz anderen Bedingungen abspielenden moralischen Aufweichungsvorgänge in Höhe der „Schulterblätter des bundesrepublikanischen Körpers“ zu, jenen strategisch äußerst verwundbaren Körperteil Europas - Belgien und die Niederlande.

In diesem Zusammenhang genügt schon ein Blick auf die verteidigungspolitische Bedeutung der belgisch-niederländischen Häfen Antwerpen, Gent, Zeebrugge, Vlis-singen, Rotterdam und Amsterdam. Im Falle eines Konfliktes mit den Streitkräften des Warschauer Paktes sind diese Häfen für die überseeische Anfuhr von amerikanischen Truppen und Material äußerst wichtig, besonders seitdem Frankreich sich aus der NATO zurückgezogen hat. Die seit langer Zeit bestehenden Pläne für einen besseren Schutz von Antwerpen und Rotterdam gegen Luftangriffe sollen vom NATO-Rat auf der Washingtoner Tagung im Mai behandelt werden. Gleichzeitig sollen die Regierungen der NATO-Staaten ihren Standpunkt zur Einführung der Neutronenbombe bekanntgeben.

Gegen die Einführung der Neutronenbombe wird schon seit langem in den Niederlanden und Belgien in einer Weise Sturm gelaufen, die das Ärgste für die Sicherheit Westeuropas fürchten läßt. Auf den sichtbaren Trümmern eines jahrelangen, allgemeinen moralischen Verfallsprozesses mit stets undeutlicher werdenden Normkonturen, zunehmenden Wertlücken und grassierender Sucht zur Nationalstolz-Nabelschau, war es kommunistisch gelenkten Steuermännern bereits im vorigen Jahr gelungen, die innenpolitischen Verwirrungen in dieser Frage in beiden Ländern so auszunützen, daß die geldverschlingende Aktion „Stopp der Neutronenbombe“ sich schon jetzt mehr als rentiert hat. Selbst die niederländische christdemokratische Parlamentsfraktion hat sich der sozialistischen Volksfront gegen die Neutronenbombe angeschlossen, damit die gerade erst kürzlich in den Sattel gehobene Regierung van Agt in arge Verlegenheit gebracht.

Der niederländische Verteidigungsminister Kruisinga, dessen ablehnende Haltung gegen nukleare Waffen seit langem bekannt ist, wurde wegen diesbezüglicher voreiliger Erklärungen in der Öffentlichkeit vom Auswärtigen Amt schon zurechtgewiesen. Der belgische christdemokratische Verteidigungsminister Vanden Boeynants dagegen steht zur Zeit in einem Konflikt mit den sozialistischen Koalitionspartnern, weil er die Anschaffung von „Hawk-Raketen“ für notwendig erachtet.

Bis zur NATO-Konferenz im Mai werden die Regierungen ihre Standpunkte über die Neutronenbombe formuliert haben. Unterdessen soll nach dem Willen der kommunistischen Parteien in Belgien und in den Niederlanden die Kampagne gegen die Neutronenbombe ihren Höhepunkt schon im März erreichen. Gleichzeitig soll mit dieser Propagandaaktion verhindert werden, daß die Erweiterung der deutsch-britisch-niederländischen Urananreicherungsanlage in AU meJo erfolgt, außerdem wird die Entmantelung des nuklearen Schutzschirmes und die Schwächung der Verteidigung angestrebt.

Das Zusammenwirken aller Propagandawaffen zur Demoralisierung des Selbsterhaltung swillens der Bevölkerung in den beiden Ländern läßt sich unschwer an den zahllosen anderen gleichzeitig laufenden Aktionen erkennen. Unter diesen nimmt die linksgesteuerte Kampagne gegen die Teilnahme der niederländischen Fußballnationalmannschaft an der Weltmeisterschaft in Argentinien einen markanten Platz ein. Die Selbstüberschätzung niederländischer Politiker, auf jedem Erdfleck eine „Voortrekker“-Rolle spielen zu müssen, ist im Verein mit dem Mangel an Selbstvertrauen bei manchen belgischen Politikern Grund genug für Männer wie Tindemans und van Agt, die prinzipiellen Ordnungsvorstellungen einer freien, menschenwürdigen Gesellschaft mehr als bisher vorzutragen.

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