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Streitobjekt Neutronenbombe: Moskau denkt, die CPN lenkt

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Die „Communistische Partij Neder-land“ (CPN) will in den nächsten Tagen den sichtbaren Beweis dafür erbringen, daß sie die Umwandlung von einer verlustgeplagten Mitgliederpartei zur marxistisch-leninistischen Stoßtrupp- und Aktionspartei endgültig und mit Erfolg vollzogen hat.

Auf Wunsch und mit voller Unterstützung Moskaus hat die CPN seit dem Sommer vorigen Jahres alle Maßnahmen und Vorbereitungen getroffen, um die Kampagne gegen die amerikanische Neutronenbombe am 18. und 19. März in Amsterdam mit einem internationalen Forum und einer Massenprotestdemonstration abzuschließen. Hierzu werdenTeilnehmeraus allen europäischen Ländern, den Vereinigten Staaten, Kanada und der So wjet-union (!) erwartet. Das Forum hat sich zum Ziel gesetzt, die Produktion der Neutronenwaffe möglichst zu verhindern. Doch nachdem Präsident Carter inzwischen zu erkennen gegeben hat, daß er nicht mehr bis zum Mai auf die Stellungnahme der NATO-Partner warten und die neue Waffe in die Produktion gehen lassen will, dürfte das kommunistisch gelenkte Amsterdamer „Forum“ sich vorwiegend gegen die Lagerung dieser Waffe auf dem europäischen Kontinent richten.

Erfahrene diplomatische Beobachter in den Niederlanden können sich nicht erinnern, jemals eine so raffiniert durchgeführte Propaganda-Aktion -die von Moskau gelenkt wird - erlebt zu haben, wobei alle Register der psychologischen Kriegsführung gezogen worden sind. Religiöse und prinzipiell ethische Einwände sind genau so schamlos mißbraucht worden wie sachlich-technologische Tatsachen. In der allgemein moralischen Entrüstung über die neue amerikanische Nuklearwaffe, die einen Teil der veralteten und dem übermächtigen Panzerkontingent des Warschauer Paktes nicht mehr gewachsenen taktischen Raketen ersetzen soll, hat sich die Reorganisation der niederländischen Kommunisten fast reibungslos vollzogen.

Prominentestes Opfer der Parteisäuberung war der Ehrenvorsitzende der CPN, Paul de Groot, der 1963 mit der Moskauer Mutterpartei gebrochen und seine Partei damit in eine hoffnun'gslose Isolierung geführt hatte. Erst im Frühjahr 1977 wurden die Beziehungen zur KPdSU wieder aufgenommen. Doch als im August 1977 die internationale Solidarität mit einem gemeinschaftlichen Aufruf von 30 kommunistischen Parteien beschworen wurde, in dem zum Kampf gegen die Neutronenbombe aufgerufen wurde, weigerte sich die CPN als einzige Partei, diesen Aufruf zu unterschreiben. Wenige Tage später hatte die Selbstherrlichkeit de Groots ein Ende.

Bereits am 20. August 1977 veröffentlichte die Parteizeitung „De Waar-heid“ einen Aufruf zur Aktion gegen die neue - vorerst nur auf dem Papier bestehende - Waffe der Amerikaner. Eine Unterschriftenaktion wurde in Gang gesetzt. Gleichzeitig wurde die Parteisäuberung vorangetrieben. Auf dem 26. Kongreß der CPN im Jänner 1978 wurde Paul de Groot auch von seiner letzten Funktion als Leiter des „Wissenschaftlichen Instituts“ der CPN entbunden. Der Titel des Ehrenvorsitzenden wurde ihm aberkannt. Der Sündenbock für die katastrophale Wahlniederlage vom Mai 1977 war gefunden und verurteilt. Der Kniefall vor Suslow und Ponomarjow im April 1977 hatte ihm nichts genützt. Paul de Groot - jahrzehntelang das Vorbild der linken Arbeiterschaft in Amsterdam -hatte sich gegen die Halbintellektuellen aus dem Erziehungs- und Wohlfahrtssektor nicht durchsetzen können. Sie bestimmen jetzt, was in der Stoßtrupp-Partei CPN geschieht. Auf den von ihnen als „sogenannten Eurokommunismus“ bezeichneten ideologischen Krampf in manchen Ländern blicken sie mit einem verächtlichen Lächeln herab. Hollands Kommunisten neuen Stils wollen gegen die Neutronenbombe bis jetzt 800.000 Unterschriften gesammelt haben.

Gegen die ebenso gefährliche, mit drei Atomsprengköpfen versehene SS-20 der Sowjets rührt sich kein Protest. Das Gelächter aus den Botschaften der Ostblockländer in Den Haag will anscheinend niemand hören.

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