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Nobelpreis für Koschnick

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Die so verschiedenartigen Interpretationen der Gemetzel auf dem Balkan erregen derzeit im Westen viel Aufsehen und werden später noch mehr Beachtung finden, wenn die Geschichte weitergegangen und die Lage von Recht und Unrecht sonnenklar geworden ist. Keine Sorge, die Wahrheit kommt an den Tag, und zwar so, daß auch der naivste Träumer sie nicht mehr leugnen kann. Der Krawall, der über ahnungslose Äußerungen entsteht, ist ein dankbares Medienspektakel, das bald zu Ende kommen sollte.

Ich schlage vor, die Zeit, den Raum, die Kräfte einem positiven Thema mit aller Energie zuzuwenden: dem von der EU beauftragten Bürgermeister Hans Koschnick der von den wildesten nationalistischen Leidenschaften zerrissenen Stadt Mostar. Die uralte pittoreske Brücke über die Dri-na, einst ein Buchtitel von Ivo Andric und ein Symbol für das Zusammenleben auf dem Balkan, ist längst zerschossen, und die einstigen Varianten der Symbiose in der kleinen Stadt sind ebenso total ruiniert.Serben, Kroaten, muselmanische Bosnier stürzen aufeinander los, wobei die Kroaten und Serben, selbst gegeneinander in tödlichem Haß verfeindet, die Stärkeren sind. EU-Verwalter Koschnick sitzt in seinem Büro und ist mehrere Male nur mit knapper Not und viel glücklichem Zufall wüsten Attentaten entgangen.

Er hätte es nicht notwendig, auf diesem Posten auszuharren, er könnte seine Pension als ehemaliger Bürgermeister von Bremen dortselbst oder in der Karibik genießen, ohne sich darum zu sorgen, ob er am Abend überhaupt noch am Leben ist. Koschnick kümmerte sich um Spitäler, Schulen, um Strom und Gas, um Verkehr und Polizei, um die primitivsten Voraussetzungen eines menschenwürdigen Daseins in der Stadt. Leider paßt dies den wahnwitzigen Scharfmachern dort nicht, die immer noch willige Gewalttäter finden.

Über das „Aushalten der Freiheit auf dem Balkan" kann man bei E. M. Cioran (der sich dorthin zugehörig fühlte) reichlich nachlesen: „Gebt ihnen nur die Hoffnung oder die Aussicht auf ein Blutbad, und sie werden euch blind folgen." Leider! Die „Chaos-Reserven" des Balkan sind unvorstellbar (auf Kosten armer und hilfloser Majoritäten). Bürgermeister Koschnick erlebt das alles, er weiß es und gibt nicht auf. Der Friedensnobelpreis würde ihm gebühren.

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