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Geplagter Löwe

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Der alte, kranke britische Löwe hat Durst. Die gelbbraune Landschaft unter dem Flugzeug bietet wirklich keinen schönen Anblick. Schon vom Flughafen Heathrow nach West Air Terminal sieht man unterwegs zwei Buschbrände, gleich neben den Motor-ways. Es gibt nun auf dieser Insel überall Waldbrände. Sogar die Themse sei undicht geworden, heißt es, das Wasser laufe angeblich durch einige Löcher auf dem Flußboden aus!

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Der alte, kranke britische Löwe hat Durst. Die gelbbraune Landschaft unter dem Flugzeug bietet wirklich keinen schönen Anblick. Schon vom Flughafen Heathrow nach West Air Terminal sieht man unterwegs zwei Buschbrände, gleich neben den Motor-ways. Es gibt nun auf dieser Insel überall Waldbrände. Sogar die Themse sei undicht geworden, heißt es, das Wasser laufe angeblich durch einige Löcher auf dem Flußboden aus!

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Dürre und Wasserknappheit lösten aber auch nationalistisch-separatistische Emotionen aus. Plaid Cymru, die Waliser Nationalpartei, verlangte dieser Tage die Errichtung einer neuen Wasserbehörde, nur für Wales allein, da das Llwyn-Trinkwasser-reservoir in Wales bereits völlig ausgetrocknet ist. Dafydd Williams, Par-

teisekretär der Waliser Nationalisten, beschuldigt London, das Wasser dieses Landesteiles nach England „entführt“ zu haben, wodurch die Einwohner von Südostwales täglich 17 Stunden kein Wasser bekommen. Auf Flugzetteln, die von Plaid Cymru verteilt wurden, wird bitter beklagt, daß Wales Wasser kostenlos abliefern muß, während in Liverpool und Birmingham in Mittelengland überhaupt keine Wasserrationierung geplant sei. Die Waliser Wasserverbraucher zahlen 33 Prozent mehr als die Engländer in den Midlands und Merseyside. Das Craig-Goch-Reservoir in Mittelwales, das größte in Europa, müsse Wasser nach London als Tribut abliefern.

Aber das Wasser ist nur eines der Probleme, die separatistische Tedenzen fördern. Es brennen überall die Sezessionsfeuerchen. Der Begriff „Machtübertragung“ wurde zum Streitthema — wegen der Autonomie Schottlands und Wales'; schon im Weißbuch der Regierung vom 27. November 1975 wurde eine beschränkte Autonomie in Form eines eigenen Parlaments für Schottland und Wales jeweils 1977 und 1978 mit 124 beziehungsweise 36 Abgeordneten vorgeschlagen. Mancher fürchtet schon den Zerfall des Vereinigten Königreiches.

In Wirklichkeit genießen die „Teilstaaten“ Schottland und Wales bereits heute größere Vorteile: im britischen Parlament verfügen die Schotten und Waliser über 71 und 36 Sitze, während Nordirland (Ulster), obwohl es um ein Viertel mehr Einwohner hat als Schottland, nur zwölf Sitze hat. Nachdem der Bürgerkrieg zwischen Katholiken und Protestanten ausbrach, wurde Ulster praktisch unter direkte britische Militärverwaltung gestellt, trotz der bereits vorhandenen Autonomie mit eigenem Parlament und „Premierminister“.

Die „Scotnats“ (schottische Natio-

nalisten) wollen überhaupt weg von der „Herrschaft von Westminster“. In Schottland sehen die Dinge ganz anders aus als in Wales. Hier spielen Kultur und Volkscharakter eine große Rolle, weshalb Wales auch nur ein Parlament mit administrativen Funktionen haben wird. Dagegen soll das geplante schottische Paria-

ment über echte legislative Gewalt verfügen. Dies allein könnte zu einer vollen Unabhängigkeit führen, gefördert durch die schottischen Erdöl-Separatinteressen.

Auch die Insel Man und die Kanalinseln (Guernsey, Jersey, Alder-ney, Sark und Herrn) haben schon seit langem das traditionelle Selbstverwaltungsrecht, da sie nicht dem Vereinigten Königreich angehören, sondern mit dem englischen Königshaus verbunden sind. Doch auch die Manx, die Einwohner der Insel Man, wollten schon seit mehr als zehn Jahren einen eigenen Staat und von London nichts mehr wissen. Die Bewohner der Orkney- und Shetland-Inseln nördlich von Schottland träumen ebenfalls von einer weitgehenden Autonomie.

Lokalnationalistische Emotionen bemächtigen sich auch des Themas Umweltschutz. Die Bewohner der schottischen Insel Mull führen seit Wochen Krieg gegen die Otterjagd des englischen Geschäftsmannes Michael Farrow. Diese Protestaktion wird vom Bischof von Norwich, Maurice Wood, unterstützt, der die Angelegenheit ins House of Lords bringen will.

Doch nicht alles ist ernst zu nehmen. So erklärten neun Cornish (Einwohner von Cornwall, Südwestengland) unter der Führung eines Mister Hamblet die Grafschaft im , Februar 1975 für unabhängig. Die keltischen Cornish wollten eigenes „Stannary“ (Parlament) und einen zollfreien Staat wie Singapur. Sie haben sogar eigene Banknoten gedruckt. Sitzen sie vielleicht schon hinter schwedischen Gardinen? Keinesfalls. Westminster behandelt derlei mit Humor und Toleranz. Und wenn man hierzulande eine Insel legal kauft und besitzt, ist man nach englischem Recht „König“ seines Eigentums und kann fast alles machen, was man will.

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