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Gesandter des Staates

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Wenn DDR-Kulturbeamte in den Schriften ihrer Literaten schnüffeln, hat das meistens Folgen. Reisebeschränkungen treffen Kritiker, Satiriker und Zyniker. „Loyalität“ wird belohnt.

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Wenn DDR-Kulturbeamte in den Schriften ihrer Literaten schnüffeln, hat das meistens Folgen. Reisebeschränkungen treffen Kritiker, Satiriker und Zyniker. „Loyalität“ wird belohnt.

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Zwei Minuten hat der Ostberliner Literat Lutz Rathenow in Wien für den Sender Freies Berlin aus seinem Ostberlin-Buch gelesen. Beamte der Literaturabteilung des DDR-Kul- turministeriums haben fein säuberlich alles mitgeschrieben und Rathenow nach seiner Rückkehr von einem kurzen West-Trip - er hatte am 11 .Mai,wie die FURCHE berichtete, in Wien den „Jörg Mauthe- Literaturpreis“ für eine satirische Beschreibung des Pfingsttreffens der Freien Deutschen Jugend (FDJ) entgegengenommen-unter die Nase gehalten. Mitschreiben können die Beamten in Ostberlin offenbar, denn Rathenow erkannte den Text aus seinem Berlin-Buch; die Mühe hätte man sich ersparen können.

Im Buch toleriert, als Text im Rundfunk gelesen als illoyales Ver- halten gegenüber der Deutschen Demokratischen Republik ausgelegt: Lutz Rathenow bekam Reiseverbot in den Westen. Der Wien- Besuch wird seine bisher erste und wie’s ausschaut auf längere Zeit auch letzte Fahrt in den gefährlichen Westen gewesen sein. Immerhin, den seit Herbst vergangenen

Jahres bestehenden Bestimmungen gemäß wurde Rathenow davon und über die Gründe der Entscheidung - „die Beamten schienen darüber nicht glücklich zu sein, aber wer letztlich dahinter steht, kann man nie wissen“ - persönlich in Kenntnis gesetzt. Betroffen von einemRei- severbot - übrigens sogar bis 19931 — ist auch der Kunstwissenschaftler Christoph Tannert (35), der imVor- jahr in Österreich wahrscheinlich zu viele und zu offenherzige Interviews gegeben hat.

Was erwartet die DDR von ihren Kunstschaffenden? Bleibt ihnen nichts anderes als Lobhudelei übrig? „Das nicht“ .sagt Rathenow zur FURCHE, „aber es bleibt beim Verzicht auf jede Form von Bissigkeit oder Bösartigkeit. Berlin erwartet von uns Loyalität. Wir sollen als Gesandte des Staates wirken. Das tötet, literarisch gesehen, natürlich jede Form von Satire, jede Form der politischen Betrachtung und der gesellschaftlichen Kritik. Würden die DDR-Künstler sich davon leiten lassen, hätte das ihre Ghettoisierung zur Folge.“

Trotzdem sind gewisse Erleichterungen bei den Reisebestimmungen in den Westen für DDR-Künstler zu bemerken. Man darf heute fahren, wenn man eine Einladung erhält. Das sollte im Westen vermehrt genutzt werden, speziell hier in Österreich, um Kontakte zum sächsischen undpreußischen Kulturkreis (wie weit entfernt sind sie doch heute von Mitteleuropal, klagt Rathenow selbst) wieder herzustellen. Da ist schon einmal wichtig, die Lebensbedingungen einer Künstlernatur in der DDR kennenzulemen, zu begreifen, was es heißt, wenn für die Genehmigung eines Pappbuches für dreijährige Kinder im Kulturministerium vier Monate lang diskutiert und zu dechiffrieren versucht wird„ weil im Text ja - etwa mittels der Anfangsbuchstaben der Absätze - subversive Polit-Botschaften versteckt sein könnten.

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