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Hineinschummeln in die Zitkunft

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Findet die böse Geschichte der DDR nun für Deutschlat:1d ein gutes. Ende? Ein Befü rworter einer „linken Deutsc h l a n d p o l it i k" gibt dazu recht unbequeme Antworten.

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Findet die böse Geschichte der DDR nun für Deutschlat:1d ein gutes. Ende? Ein Befü rworter einer „linken Deutsc h l a n d p o l it i k" gibt dazu recht unbequeme Antworten.

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FURCHE: Wie beurteilen Sie den· Westdrall Ihrer Mitbürger, der sich besonders deutlich in den Ergebnissen der März-Wahlen manifestiert hat?

LUTZ RATHENOW: Die Leute wählen ihre eigene Vergangenheit: eine des Verdrängens, des SichHineinschummelns in die Zukunft. Das Wahlergebnis darf man, was konservative Haltungen angeht, nicht überinterpretieren. Viele haben die CDU aus einer Art Trotz gewählt, weil sie sie für die energischste Partei halten, die als erste und am radikalsten durch das Westgeld den RealSozialismus zerschlägt.

FURCHE: Ist es für Sie enttäuschend, daß die Gruppen, die eigentlich die friedliche Revolution: getragen haben, fast verschwunden sind?

RATHENOW: Das war beinahe eine programmierte Enttäuschung. Es fällt jetzt auch wieder leichter, denn man findet sich wieder auf Minderheitenpositionen, die mir ja vertraut sind.

FURCHE: Wie kann künftig eine Politik in der Volkskammer aussehen angesichts der Verseuchung durch Leute von der Staatssicherheit?

RATHENOW: Um dieses Kapitel der Vergangenheit können wir uns nicht herummogeln, auch das Vernichten oder Verschwindenlassen der Akten für einige Zeit würde daran nichts ändern. Die.Mutmaßungen und Gerüchte kämeri ohneJ hin, da Aktenreste i'rnme�'Wiedet auftauchen würden. Man muß sich allerdings vor Panik hüteri und sollte nicht im nachhinein das alles maßlos dämonisieren.

Es haben keine Millionen DDRBürger für die Staatssicherheit gearbeitet. Es ist eine große, aber letztlich doch überschaubare Zahl,

auch gibt es einen ganz unterschiedlichen Grad der Verstrickung und einen moralischen Maßstab.

Ein Fall wie der' von Wolfgang Schnur zum Beispiel ist in letzter Konsequenz noch gar nicht ganz ausgelotet, denn Schnur war Berater der Kirchenleitung der DDR, er hat die Politik in Fragen des Gefangenenfreikaufs - eine Politik, die Offentlichkeit verhindern wollte - maßgeblich weitervermittelt, offenhaHm Auftrag. Damit ist Schm.ir in bestimmten Situationen mitverant.: wortlicl'i für das Weggehen der Leute, die ihn eventuell sogar verklagen wollen, weil er ihnen das nahegelegt hat.

Das bedeutet übrigens auch für die Deutschlandpolitik der CDU in den letzten Jahren - die sich maßgeblich

an kirchlichen Beratern orientiert hat, damit auch an Schnur, der der Hauptberater von Stolpe war -,daß sie sich hinterfragen lassen muß, ob sie sich mitunter nicht hat falsche Schlüsse suggerieren lassen, ob das ständige Drängen auf den angeblich einzig möglichen diplomatischen Weg nicht ein Trugschluß war.\

Denn im nachhinein stellt sich eines heraus: NurÖffentlichkeit hat der Staatssicherheit ·geschadet. Deshalb bin ich auch heute prl.nzipiell für Öffentlichkeit, wobei man bei der Aktenauswertung ein paar Sicherheitsmechanismen einbauen muß, damit nicht jeder alle möglichen Akten lesen kann und er an Hand verstümmelt übermittelter Daten dann vielleicht redliche

Leute als Spitzel aus-. macht.

FURCHE: In welcher Form wird es Ihrer Meinung nach künftig die DDR überhaupt noch geben?

RA THENOW: In. meinem literarischessayistischen Tagebuch, das ich gerade führe, notierte ich an einer Stelle: In den Jahren der Abgrenzung, die scheinbar auf einer Distanz beruhte zwischen beiden Ländern, hat sich doch eine unmerkliche Annäherung ergeben, zumindest von seiten der DDR. So könnte es sein, daß sich jetzt in einer Situation, wo alles direkt auf die Verschmelzung der beiden Staaten zuläuft, neue Momente der Distanz ergeben, daß es doch eine differenzierte Form des Ineinanderwachsens zwischen beiden Staaten gibt. Daß also vielleicht Thüringen und Sachsen Bundesland werden nach Artikel 23, während Brand eh:! burg sich eher einen Sonderstatus ausbedingt. Die DDR wird weiterleben, selbst wenn sie völlig verschwindet, als Utopieraum, als Hoffnungsraum in ·4er · Li????eratur zum Beispiel, als ein gesell'scli????ftli..'.. ches Experimerit, b????i äerrt'man'sicfi noch lange fragen wird, warum es eigentlich so grundlegend gescheitert ist, warum es lange Zeit so aussah, als ob es nicht grundlegend scheitern· müßte, und warum ehr viele Leute dieser Meinung waren:

Mit dem Literaten aus dem Ostteil Berlins sprach Franz Loquai.

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