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Stunde der Laien

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Schon vor 2.500 Jahren, in biblischen Zeiten, ist die Götzendämmerung der Fachleute passiert. Freilich „nur” auf religiösem Gebiet. Damals gab es eine Geheimkonferenz in Jerusalem: die vorderorientalischen Vasallenstaaten wollten sich gegen das mächtige Babylon verbünden.

Der Prophet Chananja, der religiöse Gutachter des Königs von Juda, macht in aller Öffentlichkeit Propaganda für dieses Bündnis. Allein sei man machtlos, aber als Bündnispartner könne man mitbestimmen, wie die Zukunft des vorderen Orients aussehen würde. Judas Identität sei dadurch in keiner Weise gefährdet, im Gegenteil: man werde alle politischen Ziele erreichen, das Land einer neuen Blüte entgegengehen.

Doch da tritt dem „pragmatisierten” Propheten, der für die VU, die „vorderorientalische Union”, agiert, ein seltsamer, aber längst bekannter Mann gegenüber: Jeremia, Charismatiker und „professioneller” Unheilsprophet. Er warnt vor diesem Bündnis, denn nach Gottes Willen hätte nur das Volk Hoffnung auf seinen nationalen Fortbestand, das die Herrschaft des babylonischen Königs akzeptiert.

Zur Bekräftigung seiner Worte trägt Jeremia ein Ochsenjoch auf seinen Schultern. Alle großen Propheten seien Unheilspropheten gewesen - zum Heil des Volkes. Da will auch Chananja sein Happening haben und reißt dem Konkurrenten das Ochsenjoch von den Schultern und zerbricht es. „Da ging der Prophet Jeremia seines Weges” (Jer. 28/11) Und die Leute? Wahrscheinlich sind sie ratlos gewesen. Wem soll man vertrauen? Beide berufen sich auf Gott

Immerhin ist es faszinierend, daß die Beligion zuerst ihre „Fachleute” desavouiert hat. Was aber bei der Beligion wenigstens grundsätzlich geglückt ist, ist in der Wissenschaft immer noch ein schmerzhafter Prozeß. Pro-EU, Anti-EU -jeder hat seine Experten. Und wie zu Jeremias Zeiten stehen eher die „Heilspropheten” unter Beweiszwang. Sie haben es nicht leicht, weil ihr „Herrgott” nur die „plausibilitas' ist.

Die Stunde der Laien ist gekommen. Österreichs Zukunft in Europa liegt in ihrer Hand. Aber will das Volk der „Laien” diese Verantwortung tragen? Wo viele schon unter der Anstrengung einer Volksabstimmung zusammenbrechen. Die Stunde der Laien ist gekommen, viele haben es noch gar nicht bemerkt.

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