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Gut leben in Wien?

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Wien etwa auf dem Preisniveau von New York, Paris oder Rom — betrachtet man untenstehende Aufstellung, die auf den Preisen von 36 Nahrungs- und Genußmitteln beruht, so sieht es so aus. Aber Statistiken dieser Art lügen zwar nicht gerade — aber sie geben ein trügerisches Bild. Denn mit dem Reallohn haben sie nichts zu tun.

Echte Real'lohnvergieiche sind so schwierig, daß sie nur selten angestellt werden. In einem echten Reallohnvergleich steht Wien unter 22 Städten (17 europäischen und fünf Weltstädten in Übersee) an sechster Stelle, leider von hinten. Nur in Lissabon, Helsinki, London, Tokio und Athen (in absteigender Linie) hat man im Jahre 1970 noch schlechter gelebt — in Athen betrugen die Reallöhne nur 55 Prozent der in Wien gezahlten, dafür in Lissabon 99 und in Helsinki 96 Prozent. An der Spitze der Tabelle standen Montreal mit 162, New York mit 161, Chikago mit 156 und als beste europäische Stadt Amsterdam mit 143 Prozent, gefolgt von Zürich und Stockholm mit jeweils 139 Prozent der österreichischen Reallöhne (1970).

Ein solcher Vergleich ist aber so schwierig, daß die Umstände, unter denen er zustande kam, fast interessanter sind als die Zahlen, die am Ende herauskommen. Dr. Anton Kausei verwendete für seine Studie „Was heißt gut leben?“ Basismaterialien der Schweizerischen Bankgesellschaft, wobei ausschließlich völlig vergleichbare, einheitliche Waren und Dienstleistungen gleicher Qualität und aus gleichartigen Geschäften für den Warenkorb herangezogen wurden. Die Lohnerhebung wiederum erfaßte fünf direkt vergleichbare Beruäsgruppen: Primarschullehrer, Automechaniiker, Autobuschauffeur, Bankkassier und Sekretärin. Der Vergleich beruht auf einem arbeitszeitbereinigten Nettoverdienst.

Um das' wichtigste Ergebnis vorwegzunehmen: Es wird zwar viel von „Europalöhnen“ und Österreichs Rückstand gegenüber solchen gesprochen, doch stand dieser Unterschied schon 1970 zu 80 Prozent auf dem Papier. Wiens Reallohnniveau lag 1970 um 7 Prozenit und liegt heute um 5 Prozent unter dem Durchschnittsreallohn der zehn Großstädte London, Paris, Düsseldorf, Mailand, Amsterdam, Brüssel, Zürich, Stockholm, Oslo und Kopenhagen. Wir liegen dabei bereits besser als London und Paris, werden aber Städte wie Stockholm mit 155 und Kopenhagen mit 149 oder auch nur Düsseldorf und Zürich mit 124 beziehungsweise 123 Prozent des österreichischen Reallohnniveaus in diesem Jahrhundert bestimmt nicht einholen.

Eine besonders große Rolle spielen die niedrigen Mietzinse, die von 90 Prozent der Österreicher bezahlt werden (wie immer, wo der völlig freie Wohnungsmarkt besonders schmal ist, sind daher auch völlig frei gebildete Mieten bei uns dafür besonders hoch, was sich aber in der Statistik wenig auswirkt). Nur Madrid hat mit 68 Prozent ein noch niedrigeres Mietpreisniveau als Wien — in Chikago erreichen die Mieten 814, in New York 548 Prozent der bei uns üblichen.

Als fast unlösbares Problem erwies sich die Bewertung des „Soziallohnes“ — nur Wien, Kopenhagen, Mailand und Rom bieten beispielsweise volle Deckung für sämtliche Gesundheitsleistungen durch die Krankenkasse. Eine entsprechende Berücksichtigung der Vorteile, die dem Österreicher seine Sozialgesetzgebung bietet, würde viele Unterschiede glätten und die Rangordnung der Städte nicht umstürzen, aber Wien, so Kausei, zweifellos vor Brüssel, Madrid und vielleicht auch Sydney rangieren lassen.

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