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Hauptstadt des Volksschwundes

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Das Internationale Statistische Institut hat vor kurzem den ersten Band einer neuen Serie von Publikationen „Internationale Statistiken großer Städte“ herausgegeben, denen interessante Einzelheiten über die Bevölkerungsverhältnisse in den einzelnen west- und mitteleuropäischen Städten zu entnehmen sind. Leider fehlen noch Unterlagen für die englischen und osteuropäischen Städte.

Die folgende Tabelle gibt ein anschauliches Bild von den Verhältnissen in den wichtigsten mittel- und westeuropäischen Städten.

Bevölkerung Lebendgeborene Gestorbene Von 100 Lebendgeborenen *

in 1000 auf 1000 Einwohner waren starben im

Städte Länder im Jahre 1950 1937 19S1 1937 1951 unehelich 1. Lebensjahr

Berlin, West Westdeutschland 2.147 14 9 12 12 18 5

Wien Oesterreich 1.766 7 7 1515 15 5

Rom Italien 1.679 22 15 12 8 7 5

Madrid Spanien 1.618 — 17 — 10 7 5

Hamburg Westdeutschland 1.606 — 11 12 11 11 4

Mailand Italien 1.294 15 11 12 10 6 5

Barcelona Spanien 1.280 — 15 — 12 7 5

Neapel Italien 1.037 25 24 1711 6 7

Athen Griechenland 1.036 — — — — 2 3

Kopenhagen Dänemark 975 17 14 12 10 11 2

Amsterdam Niederlande 841 15 17 9 8 4 3

München Westdeutschland 832 16 10 14 11 21 6

Lissabon Portugal 790 17 15 18 14 24 8

Stockholm Schweden 746 11 15 11 9 12 2

Rotterdam Niederlande 685 16 19 8 7 3 2

Genua Italien 678 14 10 13 10 6 5

Essen Westdeutschland 605 18 14 10 11 7 7

Köln Westdeutschland 595 16 12 11 10 14 6

Den Haag Niederlande 559 15 19 9 8 3 2

Frankfurt a. M. Westdeutschland 532 13 11 11 10 15 4

Dortmund Westdeutschland 507 18 14 10 11 7 6

Düsseldorf Westdeutschland 501 18 11 11 10 12 5

Valencia , Spanien 504 — 15 — 11 6 6

Palermo Italien 504 25 26 17 10 4 7

Belgrad Jugoslawien 465 13 24 10 9 7 8

Oslo Norwegen 434 9 — 11 10 4 2

Helsinki Finnland 369 1317 1310 8 3

Brüssel Belgien 185 9 9 18 19 12 7

Bern Schweiz 147 11 14 10 9 5 3

Bonn Westdeutschland 115 15 13 11 10 12 S

1 Quelle: Statistique Internationale de grandei villei Serie A, Nr. 1, Den Haag 19*4. — Die Verhälmiszahlen in diesen

beiden Spalten beziehen sich auf das Jahr 1951.

Ein Blick auf diese Tabelle zeigt die geringe natürliche Vermehrungskraft der Wiener Bevölkerung. Die Geburtenziffer in Wien war 1951 mit 7,1 auf 1000 Einwohner die weitaus niedrigste, gefolgt von West-Berlin (9,0 Promille), die höchsten Geburtenziffern waren in Palermo, Neapel und Belgrad zu beobachten. Gegenüber 1937 lag die Geburtenziffer im Jahre 1951 in einem Teil der angeführten Städte niedriger, in Helsinki, Palermo, Amsterdam, Rotterdam, Den Haag, Stockholm, Bern und Belgrad — zum Teil beträchtlich — höher. Bei Beurteilung des Rückganges seit 1937 ist die Höhe der Ausgangsposition zu beachten. Ferner gibt die „rohe“, auf die Gesamtbevölkerung bezogene Geburtenziffer nur ein Bild von der Fortpflanzungsintensität der Bevölkerung unter ihrer jeweiligen Struktur und eignet sich insofern nicht zu einem Vergleich der Fortpflanzungskraft, als die Höhe der Geburtenzahl von der Zahl der gebärfähigen Frauen, deren Familienstandsgliederung usw. abhängig ist.

Die Unehelichenquote, das ist der Anteil der unehelich Lebendgeborenen an der Gesamtzahl der Lebendgeborenen, war in Lissabon und München am größten; in Lissabon war unter vier Lebendgeborenen, in München unter fünf Lebendgeborenen eines unehelich. Als Maßstab für die Häufigkeit der unehelichen Empfängnisse darf diese Ziffer jedoch nicht benützt werden, da sie unter anderem von der Zahl der ehelichen Geburten abhängig ist. Gegenüber 1937 ist die Unehelichenquote in den hier angeführten deutschen Städten angestiegen, in nahezu allen anderen gesunken. Die niedrigste Unehelichenquote wies Rotterdam auf.

Von den angeführten Städten hat Brüssel die höchste Sterbeziffer aufzuweisen, gefolgt von Wien und Lissabon; die niedrigsten Sterbeziffern sind in den niederländischen Städten festzustellen. Diese „rohen“, auf die Gesamtbevölkerung bezogenen Sterbeziffern bringen aber nur die Sterbeintensität unter der jeweiligen Bevölkerungsstruktur zum Ausdruck; da die Lebensbedrohung der einzelnen Altersklassen höchst unterschiedlich ist, gestatten diese Ziffern keine Rückschlüsse auf die gesundheitlichen Verhältnisse.

Eine Betrachtung der Säuglingssterblichkeit in diesen Städten läßt die Mittelstellung Wiens erkennen. Lissabon, Belgrad, Brüssel, Palermo und Neapel wiesen die höchste, Stockholm, Oslo und Den Haag die niedrigste Säuglingssterblichkeit auf. Die Vergleichbarkeit des Ausmaßes der Säuglingssterblichkeit ist allerdings durch eine unterschiedliche Abgrenzung der Begriffe „Lebend- und Totgeburt“ beeinträchtigt. So wies zum Beispiel Belgrad eine außerordentlich hohe Säuglingssterblichkeit in Verbindung mit einer sehr niedrigen Totgeburtenquote (das ist der Anteil der Zahl der Totgeborenen an der Zahl der Geborenen insgesamt) auf, während in Athen bei einer Säuglingssterblichkeit von nur drei Prozent eine verhältnismäßig hohe Totgeburtenquote zu beobachten ist. In Lissabon dagegen sind beide Ziffern sehr hoch, in Oslo sehr niedrig.

Gegenüber 1937 lagen im Jahre 1951 nur in Brüssel, Dortmund und Essen die „rohen“ Sterbeziffern höher, in allen anderen angeführten Städten aber — zum Teil beträchtlich — niedriger, so vor allem in Palermo (—3 8 Prozent) und Neapel (— 32 Prozent). Dieser Rückgang dürfte zum Teil auf die niedrigere Säuglingssterblichkeit zurückzuführen sein. (1937 starben in diesen Städten noch 10 Prozent der Lebendgeborenen im ersten Lebensjahr, 1951 nicht ganz 7 Prozent I)

Bei Beurteilung der Häufigkeit der wichtigsten Todesursachen ist zu beachten, daß ein Vergleich der Sterblichkeit nach Todesursachen infolge methodischer Verschiedenheiten schwierig ist und man von zu weitgehenden Schlüssen besser absieht. Da bestimmte Krankheiten in bestimmten Altersklassen zahlreich, in anderen selten auftreten, ist die Häufigkeit einer Todesursache einmal von der Altersbesetzung abhängig; ferner kann die Vergleichbarkeit „statistisch“ gestört sein, wenn das der Todesursachenstatistik zugrunde liegende Material nicht nach einheitlichen Gesichtspunkten zusammengestellt ist.

Es zeigt tich nun, daß die Tuberkulosesterblichkeit in Lissabon eine überragende Rolle spielt; ferner forderte die Tuberkulose in Madrid und Brüssel zahlreiche Opfer, während von den größeren Städten Amsterdam und Kopenhagen die niedrigsten Sterbeziffern aufwiesen.

Die höchste Sterblichkeit an Krebs war in Brüssel und Wien, die geringste in Barcelona und Neapel zu beobachten.

Gehirnschlag forderte relativ die meisten Opfer in Berlin, gefolgt von Brüssel, während Bern eine ungewöhnlich geringe Sterblichkeit an Gehirnschlag aufwies. Die Sterbefälle an Herzkrankheiten waren besonders in Brüssel und Wien zahlreich; Bern hat auch bei dieser Krankheitsgruppe eine sehr kleine Sterbeziffer.

Ferner sei noch die auffallend hohe Sterbeziffer an Lungenentzündung und Grippe in Barcelona erwähnt, welche die Vermutung nahe legt, daß dies zum Teil auf eine unvollständige Erfassung des sogenannten „Grundleidens“ zurückzuführen ist, wodurch im Vergleich zu anderen Städten die Sterbeintensität an anderen Todesursachen zu gering ausgedrückt würde. Stockholm hatte die geringste Sterblichkeit an Lungenentzündung und Grippe.

Abschließend sei noch kurz ein Ueberblick über den Geburtenüberschuß in den einzelnen Städten gegeben (siehe die Graphik am Fuße des Blattes).

Die Darstellung des Geburtenüberschusses bzw. -abganges erfolgte in der Weise, daß der schwarzausgezogene Teil das Ergebnis des Jahres 1937 und der weiße Teil das Ergebnis des Jahres 1951 darstellt.

Den größten Geburtenabgang hatten Brüssel und Wien, den größten Geburtenüberschuß Palermo und Belgrad. Gegenüber 1937 hat sich die Bilanz der natürlichen Bevölkerungsbewegung vor allem in den deutschen Städten sowie in Brüssel, Kopenhagen, Genua, Mailand und Rom verschlechtert, in den anderen Städten verbessert, so insbesondere in Belgrad, Helsinki, Neapel, Palermo, Stockholm und den drei holländischen Städten.

Zusammenfassend läßt sich sagen, daß Wien

a) die niedrigste Geburtenziffer,

b) die zweithöchste Sterbeziffer unter den angeführten Städten aufweist. Die Sterblichkeit an Krebs und Herzkrankheiten ist — mit Ausnahme von Brüssel — bedeutend höher als in den anderen, in die Untersuchung einbezogenen Städten, was zumindest teilweise durch verhältnismäßig starke Besetzung der Altersgruppe 65 und darüber (13 Prozent der Bevölkerung entfielen auf diese Gruppe) bedingt sein dürfte, und daß

c) in Wien wie in den meisten anderen Städten die Herzkrankheiten die wichtigste Todesursachengruppe bilden, gefolgt von Krebs und Gehirnschlag. Eine bemerkenswerte Ausnahme bildet West-Berlin, wo der Gehirnschlag die zahlenmäßig bedeutendste Todesursache ist.

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