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Lebende Lyrik

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Zehn Jahre nach dem fühen Tod des Dichters Gerhard Fritsch, liegt nun sein umfangreiches lyrisches Gesamtwerk vor. Es ist nicht zu übersehen, daß sich ein Großteil dieses Werkes mit dem für den Autor so gravierenden Erlebnis Krieg auseinandersetzt:

„Im Osten / fiel Schnee. / Weiß wie das Häubchen. / Weiß wie die Knochen / im Schlamm.“

Doch es sind nicht nur Gedichte, die auf persönlichen Kriegserlebnissen basieren:

„Noch immer zieht dort Cäsar nach Gallien, / Napoleon räder-

rasselnd in den Osten, / noch immer singen die Landsknechte heiser / von Rom, / das der Plünderung harrt.“

Vielleicht wird es der jungen und jüngsten Generation nicht leicht, hier anzuknüpfen. Denn dieser Krieg, darin die Völker wie in einem Kartenspiel sorglos durcheinandergemischt wurden, dieser Krieg ist für die Nachgebö-renen nur noch ein Krimi am Fernsehschirm.

Gerhard Fritsch, neben Trakl, Busta, Lavant, einer der bedeutendsten Lyriker Österreichs, hat mit der Sprache nie experimentiert Wie Reinhard Urbach im Vorwort sagt, „war sie für ihn Ausdrucksmittel und nicht thematisiertes Material. Er trieb sie an den Rand ihrer Möglichkeiten, aber er nahm sie nicht auseinander, und er spielte nicht mit ihr. Die Worte beließ er intakt, suchte aber durch neue Verbindungen ihre Aussagekraft zu erhöhen.“

Ein auch dem Lyrikfremden zu empfehlendes Buch, das nicht nur Zeitereignisse protokolliert, sondern sie mit dem Skalpell bloßlegt:

„In verschüttetes Bier / schreibt eine Fliege umständlich / ihr Sterben.“

Zum vordinglichen Motiv wird dem Autor die Landschaft, die Natur, in die der Mensch integriert ist. Im „Au-Herbst“ dominiert noch die Natur. In dem Gedicht „Im Nebel“ ist bereits der Mensch personifizierte Landschaft, Natur:

„In der zerbröckelnden Krypta des Herbstes / bist du / bald der letzte Pfeiler / auf dem die raunende Kathedrale / über dir ruht.“

In über 300 Gedichten, in chronologischer Reihenfolge geordnet, wächst das seelische Porträt des Dichters und Menschen Gerhard Fritsch. Vielen, nicht nur jenen, die den Dichter persönlich gekannt haben, wird dieses Buch zum großen, vielleicht auch erschütternden Erlebnis.

GESAMMELTE GEDICHTE. Von Gerhard Fritsch, herausgegeben von Reinhard Urbach; Otto-Müller-Verlag, 1978, öS 251,20.

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