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Lourdes mal hundert

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Zum 100. Mal wird am 3. Mai ein Pilgerzug des Marianischen Lour- deskomitees Wien verlassen, um kranke und gesunde Pilger nach Lourdes zu bringen. Kardinal König wird im Gnadenort zur Pilgergruppe stoßen.

Der erste österreichische Lazarettwagen, der bettlägrigen Kranken die Teilnahme an einer Fahrt des Marianischen Lourdeskomitees ermöglichte, hatte zuvor ganz andere Passagiere gesehen. Wo zwischen 1956 und 1964 in 19 Pilgerzügen je 24 Kranke von den Helfern betreut wurden, wo gemeinsam gebetet, gemeinsam Eucharistie gefeiert wurde, dort hatte 15 Jahre vorher Hermann Göring das „Tausendjährige Reich” durchreist. Der erste Lazarettwagen des Marianischen Lourdeskomitees hatte Göring als Salonwagen gedient, bevor er von der amerikanischen Besatzungsmacht zum Lazarettwagen umgebaut und dann vom Lourdeskomitee übernommen wurde.

Ein merkwürdiger Zufall, ein Zusammentreffen, das zum Lächeln verleitet: damit ist aber schon der Zusammenhang mit Lourdes hergestellt.

Dort scheint vieles paradox, dort entdeckt man Zusammenhänge, die anderswo nie aufgefallen wären, dort erlebt man ein Lächeln, wo Verzweiflung berechtigt erscheint. Dort kann sogar aus einem „Saulus”-Salonwagen ein „Paulus-”-Pilgerzug werden!

In hundert Fahrten konnte das Ma-’ rianische Lourdeskomitee über 40.000 Menschen das Erlebnis Lourdes vermitteln. Der Name Zeilberger ist unlösbar mit der Arbeit des Komitees verbunden: 1909 führte Rudolf Zeilberger eine erste Gruppe von 15 Pilgern nach Lourdes, jetzt werden jährlich zwei Sonderzüge mit je 600 Pilgern von seiner Tochter Klara Zeilberger betreut. Das Ehepaar Zeilberger hatte bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs zehn Pilgerzüge mit insgesamt um 4400 Teilnehmer nach Lourdes gebracht.

Nach der ersten Zäsur, die der Krieg verursacht hatte, wurden die Fahrten zwischen 1922 und 1937 in 32 Zügen durchgeführt. Die Reisen dauerten damals 18 Tage und hatten neben dem zentralen Anliegen der Wallfahrt nach Lourdes ein reiches Besichtigungsprogramm anzubieten. Sie waren deshalb in erster Linie für Gesunde gedacht.

Diese Pilgerzüge waren nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges noch in bester Erinnerung. Rudolf Zeüberger war 1941 gestorben, so baten ehemalige Teilnehmer seine Tochter, die Tradition wieder aufzunehmen. Klara Zeilberger hatte schon zuvor ihren Eltern bei der Organisation der Pügerzüge geholfen, sie war schon als dreijähriges Kind in Lourdes gewesen. Die 100. Fahrt ist die 85., an der sie teilnimmt.

Bei der Neugründung des Marianischen Lourdeskomitees wurde von dem Gedanken ausgegangen, vor allem Kranken die Fahrt nach Lourdes zu ermöglichen. Die ersten Krankentransporte kamen 1951 in Zusammenarbeit mit dem Päpstlichen Krankenhilfswerk in Rom zustande, ab 1956 gab es eigene österreichische Sonderzüge mit Lazarettwagen. Der erste von ihnen war jener Salonwagen des Reichsmarschalls. Die Pilgerreise dauert jetzt neun Tage und führt über St. Gallen, Einsiedeln, Marseüle nach Lourdes und über Nevers zurück nach Wien.

Das Marianische Lourdeskomitee, 1973 von Kardinal König zum kirchlichen Institut ausgeweitet, führt jährlich zwei Pilgerzüge mit je 600 bis 700 Teünehmern, von denen 80 bis 100 krank oder behindert sind. Das Lourdeskomitee ist nicht die einzige Organisation, die Fahrten nach Lourdes veranstaltet. Aber nur diese Wallfahrten vereinen Kranke und Gesunde. Die Schwerkranken im Lazarettwagen, die leichteren Krankheitsfäüe im gesonderten Liegewagen und die Gesunden in den anderen Waggons bilden mit dem mitreisenden Bischof, den Seelsorgern, Ärzten, Schwestern und Brancardiers (Krankenträgern) eine Gemeinschaft. Sie beginnt beim Reisesegen am Westbahnhof und wird bewußt, wenn in der Gegend von Att- nang-Puchheim der erste gemeinsame Rosenkranz gebetet wird. 600 Menschen fahren in der Abenddämmerung durch Österreich, der Lautsprecher in jedem Abteil erleichtert das gemeinsame Gebet. Danach ist der Fremde ein Gefährte geworden, und das Kreuz, das jeder einzelne zu tragen hat, führt aus der Isolation heraus.

Gegen 5000 Kranke sind während der 100 Fahrten nach Lourdes gebracht worden. Wie viele Wunder geschahen an ihnen? Diese Frage wird von jenen oft gestellt, die Lourdes nicht wirklich kennengelemt haben. Wer Lourdes erlebt hat, weiß, daß die feierlich als Wunder definierten Heilungen nur wenig mit dem Phänomen Lourdes zu tun haben. Aber ist es für den Betroffenen nicht wunderbar genug, wenn sich bei oder nach einer Wallfahrt nach Lourdes eine schwere Krankheit wesentlich bessert? Wenn eine an Leukämie Erkrankte gesund wird, wenn eine Gelähmte wieder gehen kann, auch wenn es sich „nur” um eine Nervenlähmung gehandelt hatte?

Solche Fälle kamen vor. Aber auch sie sind nicht die wesentlichen Wunder von Lourdes. Die geschehen im Innern. Wenn nach der Lourdesfahrt jemand, der vorher nicht das geringste Verständnis für Kranke aufbrachte, nun Behinderten mit liebevoller Hilfsbereitschaft entgegenkommt, weü ihm die Augen für das Leiden der Mitmenschen geöffnet wurden; wenn in einer ausweglosen Situation plötzlich ein Weg erkannt wird, der beschritten werden kann; wenn Kranke, deren letzte verzweifelte Hoffnung einer Heüung in Lourdes gegolten hatte, ohne Zeichen einer Besserung ihrer Krankheit heimfahren, aber getröstet und bereit, ihr Kreuz weiter zu tragen: sind das keine Wunder? Von solchen Wundem ist Lourdes voll für jeden, „der Augen hat zu sehen und Ohren zu hören”.

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