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Das Lacheln von Lourdes

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In der weltbekannten Reihe der Heiligen-Bildbände des Schweizer Lichtbildners Leonard von Matt ist nunmehr auch ein Band erschienen, der dem Mädchen von Lourdes gewidmet ist (Leonard von Matt und Francis Trochu: „Bernadette Soubirous“, Verlag Herold, Wien. 183 Bilder und 275 Seiten. Preis 136 S).

Die Aufgabe, die vor allem der Lichtbildner zu meistern hatte, war hier bedeutend schwerer als jene, welche die letzten großartigen Bände über Franz von Assisi und Ignatius, stellten. Dort war die Möglichkeit, viele der schönsten und auf den ersten Blick bereits ansprechendsten Landschaften und Städte Europas ins Bild zu bannen, von den Bergen und Burgen des Baskenlandes und Kastiliens bis zu den hefteten und schwermütigen Landschaften Umbriens und des italienischen Südens Rom und lerusalem. Venedig und Montserrat, Paris und die pittoresken Marktflecken mitten in den spanischen und italienischen Landen boten da eine überreiche Auswahl.

Dazu die uralten Klöster und Kirchen, Weiheorte und Heiltumsstätten, die der Fuß der großen Pilger Franz und Ignatius betrat. Wie viel schwerer steht es um Lourdes. Die zuckersüße Kathedrale steht in einem kleinen „Nest“, einer wenig anziehenden französischen Provinzstadt. Wohl ist die Umgebung lieblich, besonders wenn der Schnee auf den nahen Bergen liegt und die grünen Matten um Lourdes sich von den Bergen und dem hohen Himmel absetzen. Das ist aber, so scheint es, auch alles. Die Schwärme der Pilger und Kranken, die Prozessionen, das Kloster, das zuletzt Bernadette Soubirous zur letzten Heimstatt auf Erden wurde. Saint Gildard in Nevers- da steht wohl überall ein großer Ernst dahinter, das äußere Antlitz dieser Welt um Lourdes und in Lourdes ist jedoch wenig attraktiv. Die Photolinse ist nicht das Auge des Glaubens, das, mitten im Gestrüpp, in einer Landschaft, wie sie sich an tausend Bächen und kleinen Flüssen, am Schwemmsand und einigen mageren Ziegen und mageren Bäumen konturiert, einen Ort wahrnimmt, an dem die Kräfte des Heils und der Gnade in breitem Strome in diese Welt einfließen. Lourdes ist, wie im Vorwort sein Bischof, Monsigneur Theas, vermerkt, ein uralter Heiltumsort, der Mutter der Menschen seit über tausend lahren verbunden. — Und das Mädchen Bernadette? Sie ist kein Star, kein Filmstar, dieser früh tuberkulöse Sproß einer prole-tarisierten Müllerfamilie, die im alten Gefängnis von Lourdes eine ungute Wohnstatt findet. Ihre Schönheit wird zum ersten Male ganz sichtbar auf dem Totenbett: da aber überstrahlt sie bereits, allen sichtbar, die Sterne dieser Welt ...

Wenn man diese großen Schwierigkeiten bedenkt, die da jedem Versuch trotzen, Lourdes photogen zu machen — für wache Augen heutiger Weltkinder, die Angst haben vor Sentimentalität und Verführung zu gefühlsamen Ueberblendungen der harten Wirklichkeit —, dann wird man. überrascht und erfreut, diesen schönen, klaren, sauberen Bildband nicht so bald aus der Hand legen. Matt löst Lourdes aus dem Fluidum von Kitsch, das ein iahrhundert ängstlicher Seelen um die Pyrenäenstadt gewoben hat. Was er zeigt, uns zum stillen Beschauen vorstellt, sind zunächst einmal und immer wieder die kleinen Dinge eines' schlichten Lebens. Der Hausrat, die grobe Kleidung, Tuch, Holzpantoffel, Handwerkszeug der armen Arbeiter, Steinklopfer, Hirten und Dörfler in den Orten, in denen Bernadette heranwuchs. Dazu die Matten und Weiden, die Berghänge, das Vieh und die Bäume, die kleinen Wasser und Hütten des Landes um Lourdes. Dann, in oft erstmaligen Aufnahmen, die Schriftstücke, die den beginnenden Kampf um die Anerkennung der Erscheinungen bekunden. Köpfe, einfältige und selbstbewußte Köpfe von Provinzbürokraten des Kaiserreiches Napoleons III., dazwischen hier und dort, nicht zu oft, ein großes, reifes Gesicht wie das des Bischofs Theodor Augustin Forcade, der die Ordensgelübde der todkranken Bernadette entgegennahm. Dann, natürlich, die Grotte von Massabielle; eine natürliche Landschaft, mitten unter anderen natürlichen, hübschen, aber keineswegs außerordentlichen Landschaften um Lourdes. — Die Wirkung dieses Bildbandes um Lourdes besteht aber nun eben darin, daß durch die Verbindung der 183 Bilder mit dem ebenso sauber-klaren Tejtt Monsignores Trochu eine eigentümliche Faszination entsteht: da sind lauter sehr alltägliche Dinge, Gesichter. Häuser, Orte zu sehen — und eben sie machen die Erfahrung der Bernadette Soubirous glaubwürdig. Dieses Mädchen mit einem sehr nüchternen, realistischen Sinn für alles Echte und Unechte, lebt nicht in einer Wunderwelt, in einer ungesunden, überhitzten Atmosphäre wundersüchtiger Seelen, wie sie in Konventikeln und Kleinkirchen nicht selten sich bildet, sondern wächst heran in der harten, scharfen Luft, die den Armen überall auf dieser Erde um die Ohren schlägt. Bernadette ist seelisch von einer außergewöhnlichen Robustheit und Gesundheit,, die Kfankheit egozentrischer religiöser Seelen, die Selbstbespiegelung, das Ressentiment und der schiefe Blick auf andere sind ihr fremd. Ohne große Schwierigkeiten nimmt sie, die bereits von vielen als die Seherin des Jahrhunderts gefeiert und verehrt wird, ihr Los im Kloster von Nevers auf sich; wo man sie mit der gewohnten Härte alter Anstalten nicht gerade schont. Alle Begegnungen und Gespräche mit dem „weißen Mädchen“ (erst die Frommen von Lourdes werden Bernadette anlernen, zu ihm „Dame“ zu sagen), das sich ihr nach und nach als Mutter des Menschensohnes zu erkennen gibt, entbinden Bernadette nach ihrem eigenen Empfinden nicht von der Pflicht, ihr Menschenleben ganz auszuleben in Opfer, Dienst, Gebet, dienend heiter leben (mitten in der schweren Krankheit) und froh sterben: Bernadettes Lebenswandel bis zum irdischen Tode, ein Wandel jenseits von Ekstasen, Verzückungen und falschen Himmelsträumen, ist der eindrucksstärkste Beweis für die Echtheit ihrer Erfahrung. Und es ist Leonard Matt und Msgr. Trochu zu danken, daß sie diese in Bild und Wort zu bezeugen wissen.

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