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Franz Werf el kehrte zurück

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Am 21. Juli wurde, was von Franz Werfet sterblich war, in einem Ehrengrab auf dem Wiener Zentralfriedhof beigesetzt. Um die Oberführung der Gebeine zu ermöglichen, hatten — zur Schande für Österreich sei es gesagt — die über den Erdball verstreuten freien Armenier des Westens Gelder gesammelt, bis der Betrag ausreichte. Es war dies der Dank für Werfels Roman „Die Vierzig Tage des Musa Dagh“, für dieses Hohelied auf den Widerstand einer kleinen, entschlossenen Schar von Christen gegen die Armeniermassaker im Osmanischen Reich, gegen das erste große Genocid in unserem Jahrhundert, dem, wie der Dichter prophetisch voraussah, bald perfektere Genocide ungeheuerlicheren Ausmaßes folgen sollten.

Der Nachholbedarf in den allerersten Nachkriegsjahren brachte vorerst Werke des großen Dichters wieder zutage; die in der Emigration entstandenen, den „Stern der Unge-borenen“, diese Utopie einer entgot-teten Welt, die der materialistischen Sehnsucht nach Selbstvernichtung anheimfällt und in der nur der Papst, der Ewige Jude und die „Kleinen Brüder vom Ewigen Leben“ der Auflösung standhalten; den prachtvollen „Jacobovsky“ mit seinem nicht minder prachtvollen polnischen Oberst, aber auch die Erinnerungen an all die Meisterwerke, die vor der Flucht geschrieben worden waren, an den Welterfolg des „Verdi“, an das „Reich Gottes in Böhmen“, an den „Abituriententag“, an „Höret die Stimme“, das visionäre Epos vom Propheten Jeremias.

Allen voran aber jenes „Lied von Bernadette“. „In den letzten Junitagen des Jahres 1940, nach dem Zusammenbruch Frankreichs, kamen wir auf der Flucht von unserem damaligen Wohnort im Süden des Landes nach Lourdes ... Es war eine angstvolle Zeit. Es war aber zugleich auch eine hochbedeutsame Zeit für mich, denn ich lernte kennen die wundersame Geschichte des Mädchens Bernadette Soubirous und die wundersamen Tatsachen der Heilungen von Lourdes. Eines Tages, in meiner Bedrängnis, legte ich ein Gelübde ab... Dieses Buch ist ein erfülltes Gelübde.“

Viele Katholiken begriffen damals gar nicht, was da geschehen war. Einer, der im Herzen zwar längst schon Christ war, bis zum Ende aber sich der Taufe entzog, weil er (vielleicht mit einiger Berechtigung) fürchtete, dies könnte ihm als Verleugnung seiner Herkunft aus dem in Europa zum Tode verurteilten jüdischen Volk ausgelegt werden —

einer legte da ohne triefenden Balsam, ohne Weihrauchwölkchen und ohne das bei Heiligenbiographien scheinbar unumgängliche sprachliche Unvermögen in einem zeitlosen Kunstwerk Zeugnis ab für „die Dame“ von Lourdes. Das wurde für die außerkatholische Welt alsbald zum. Stein des Anstoßes. Als sich dann gar noch herumgesprochen hatte, daß dieser Werfel in den letzten Jahren der Emigration aufs engste mit Dr. Otto, Habsburg zusammengearbeitet hatte, -renkte sich lautlos der eiserne Vorhang des Totschweigens über den großen Dichter herab. Innerhalb der Kirche wurde für diverse, nach dem Konzil das große Wort führende und im Unglauben fortgeschrittene Geistliche („Priester“ hatte „die Dame“ sie, oh Schreck, nach dem Wortgebrauch während ihres irdischen Daseins genannt!) Lourdes, nicht anders als Fätima und La Salette, zur peinlichen Verlegenheit, jetzt berief man sich lieber auf die aufgewärmten Mißdeutungen Kurt Tucholskys, als auf Franz Werfels erfülltes Gelübde. (Als ob das „Wunder von Lourdes“ hauptsächlich aus den gelegentlichen Heilungen, und nicht im Wesentlichen aus etwas unendlich Größerem bestünde, für dessen Wahrnehmung allerdings den im Unglauben Fortgeschrittenen ebenso wie der materialistischen Industriegesellschaft aller Klassen das Organ fehlt, weil es infolge Nichtgebrauchs verkümmert ist.)

Franz Werfels Gebeine wurden in ein Ehrengrab auf dem Wiener Zentralfriedhof bestattete. Es ging dabei nur zum Teil offiziell zu. Unter den Kränzen war auch jener telegraphisch für den Freund und Mitarbeiter bestellte Dr. Otto Habs-burgs. (“Wie gerne hätte ich der Ehrung des großen Dichters beigewohnt!“) So ungefähr hätte es sich Franz Werfel, der große Dichter, ja auch gewünscht.

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