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Ein Zeugnis

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Ein „erfülltes Gelübde” nennt Franz Wer fe 1 sein „Lied von Bernadette”, ein Gelübde, mit dem er, der Nichtchrist, in der Not der Verfolgung zur Mutter Christi seine Zuflucht nimmt. Mit Gewissenhaftigkeit und Treue versenkt er sich in das Quellenmaterial. Keinen Augenblick bat auch der kritischeste Leser den Eindruck, daß dichterisdie Deutung die Tatsachen verkünstle oder eigenwillige Schlüsse ziehe. Die erste Begegnung Bernadettens, dieses geistig recht bescheidenen, aber nüchtern unbefangenen Kindes, mit der „Dame” ist ohne alle mystische Stimmung, die zu subjektiver Empfänglichkeit für ein wunderbares Erlebnis disponiert hätte. Sie sieht eine wirkliche, lebendige Frau vor sich, die von irgendwoher gekommen sein mag, die nur lieblicher ist und zu ihr gütiger als alle andern, die sie kenat. Es ist so verständlich, daß die übermächtige Liebe zu der Wunderschönen ihr einfaches, kleines Dasein überschwemmt, alle Kräfte ihres Wesens in sich kristallisiert und sie zur Kämpferin macht, die in unzähligen Verhören, Psychiatrierungen, Drohungen und Beschimpfungen aufrecht und unbeirrt ihre Dame verteidigt. In klarer und glaubwürdiger Profilierung werden alle Personen, die das Ereignis erfaßt, vor uns lebendig. Da ist, köstlich geschildert, der hochgeistige Diskutierklub im „Caf£ Progris”, hier zieht der Freisinn alle seine Register: Betrug oder Hysterie! Aber es madit die Menschen verrückt. Das zweite Kaiserreidi ist in Gefahr. Natürlich stecken die Royalisten dahinter, es droht eine Restauration der Bourbonen. So meint der Staatsanwalt Dutour, der sich als unerbittlicher Gegner der klerikalen Reaktion seine Sporen verdienen will.

Betrug oder Hysterie sagen auch die Vertreter der katholischen Front. Der Bischof von Tarbes, unwillig über die Gerüchte, will es „der Dame so sauer machen”, als er nur kann, Die Geistlichkeit von Lourdes hat strengstes Verbot, an den Kundgebungen vor der Grotte teilzunehmen, und Pfarrer Peyramele, der sack- grobe „Petroleur der Barmherzigkeit”, droht Bernadette, mit dem Besen wegzufegen, wenn der Unfug bei Massabielle nicht aufhört. Daß ihm, dem Rosennarren, seine kostbaren Rosen- stödee eingegangen sind, macht seinen Ärger noch wilder, in grimmem Spott trägt er dem Kinde die Botschaft auf, die Dame solle ein Rosenwunder tun.

Die Dame tut das Wunder nicht, aber sie schenkt die Quelle. Eine unendliche Verdemüti- gung für Bernadette. Sie soll aus der Quelle ,,trinken und sich waschen”. Es ist aber keine Quelle da. So gräbt sie, die nichts anderes weiß, als den Willen der Dame zu erfüllen, an der bezeichneten Stelle, bis sie feuchte Erde fühlt, beschmiert sich damit das Gesicht und schluckt mühsam einen Brocken hinunter, den sie — Tausende schauen ihr zu — erbrechen muß. Alle Andachtsbereitschaft der Massen löst sich in Spott und heillosem Gelächter auf. Aber am nächsten Tag quirlt die Quelle, die ersten Unbegreiflichkeiten geschehen, ein Halbblinder gewinnt neue Sehkraft, ein unrettbar sieches, sterbendes Krüppeldien wird geheilt.

Nun hebt sich die Darstellung, von den Berichten fortgerissen, zu unerhörter Eindringlichkeit, Die Vorfallenheiten sind nicht mehr zu leugnen und nidn totzuschweigen, sie zwingen zur Auseinandersetzung, zur Stellungnahme. Als Douzous, der unbestechliche, keineswegs gläubige Arzt, fassungslos und fast verstört dem Pfarrer berichtet, was er selbst gesehen und geprüft, da gibt auch Peyramele seinen scheltenden Widerstand auf. Der grobe Polterer wird zum gütigen Helfer Bernadettens, und als sie ihn sterbend ruft, macht er die beschwerliche Reise nach Nevers, srtzt an ihrem Lager und hört ihr letztes Wort, das ihrer Dame gilt: „J’airae1. Ihrem Vermächtnis aber — Roma locuti —- dient er mit Her Kraft und Treue seines Wesens: auf der Höhe von Massabielle ersteht die Rosenkranzbasilika. Das Wunder von Lourdes hebt seinen Siegeslauf durch die Welt an. Tausendfach bezeugt, stehen seine Tatsachen im Klarlidit des Wirklichen. An ihrer Unleug- barkeit zerschellt das hochmütige Nein des Unglaubens.

Diese von Werfel tief empfundene geistige Dynamik findet ihren Ausdruck in der — fast Zärtlichkeit gezeichneten — Gestalt des Dichterphilosophen Lafite. Er glaubt an nichts und bespöttelt alles. Religion ist ihm nur eine Vorform der Kunst („Kunst ist die völlig säkularisierte Religion. Und deshalb ist die Religion des neunzehnten Jahrhunderts die Kunst”). Er ist nicht gehässig, nur über alles erhaben. Aber als ihn Douzous zwingt, mit ihm durch das „Hospital der sieben Schmerzen” zu gehen, da wird er von Entsetzen gepackt und, gepeinigt durch das Wissen um den Tod, den er selbst schon im Leibe trägt, flüchtet er in die Grotte. Die schonungslose Gewissenserforschung, die er mit sich anstellt, ist menschlich empfunden der Höhepunkt der Darstellung. Er bekennt sich schuldig des „lächerlichsten, blödsinnigsten und absurdesten” Hochmutes. „Wenn ich Gott nicht anerkannte, so geschah es nur deshalb, weil ich es nicht ertragen hätte, daß ich nicht Er bin.” „Meine Sünde — ist die Sünde Luzifers.” Und eingebettet in das Gebet der vielen, die er immer verachtet hatte, wird ihm ein seltsam tröstlicher Halt; „ohne eine andere Sensation zu fühlen ab die schwindende Scham”, sinkt er in die Knie, stammelt die Worte des Englischen Grußes mit und ein wunderbarer Frieden überkommt ihn. ,,Es gibt keine Bekehrung zum Glauben, es gibt nur eine Rückkehr in ihn. Denn der Glauben ist keine Funktion der Seele, sondern diese Seele selbst in ihrer letzten Nacktheit.”

Werfel zieht aus der Geisteshaltung, die ihn zum „Lied von Bernadette” treibt und aus diesem Werk spricht, für sich selbst nicht die letzte Konsequenz. Bis zu seinem Tode bleibt er dem Glauben seiner Väter treu. Wie tief er aber den tragischen Konflikt seines Volkes fühlt, das im Festhalten an dem gesetzesstarren Geist Zaddoks allein seine nationale Rettung sieht, wird schon aus seiner dramatischen Legende: „Paulus unter den Juden” offenbar (1926). Erschütternd ist dort die Existenzangst der Judenheit geschildert. Gamaliel, der Alte, Gütige, Weise, spricht es aus. „Wehe dir!”, sagt er zu Paulus, „weißt du, wer Messias ist? Die Vernichtung ist er! Deni , wenn dieser Pfeil entschwirrt, zerbricht der Bogen.” Darum muß Messias der „Ewig-Künftige” sein. Werfel bleibt der Jünger Gamalieb. Und dennoch kommt das „Lied von Bernaderte” wie ein Vermächtnis auch zu seinem Volke: sein Zeugnis für Lourdes ist wie die Stimme des Rufers, wie eine mahnende, drängende Wiederholung des Wortes, das er Schaul-Paulus in den Mund legt: c h habe Antwort bekommen, Rabbanc ,..”

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