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Hollywood, Werfel und Bernadette

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An einem Abend des Jahres 1941 greift der Regisseur Perlberg von der „20th Century Fox“-Filmgesellschaft gelangweilt nach dem neuen Buch von Franz Werfel „Das Lied der Bernadette“: soll er es lesen? Das Leben einer kleinen Heiligen, was hat es schon einem Filmregisseur zu sagen? Aber da steht ein Vorwort, wie es eigenartiger wohl noch kaum zu einem Lourdes-Buch geschrieben worden ist: die Geschichte der Verzweiflung und Rettung eines Juden.

Im Juni 1940 kommt Franz Werfel, auf der Flucht vor der Gestapo, die zusammen mit den siegreich vordringenden deutschen Truppen Frankreich überflutet, nach Lourdes. Hier wartet er auf die Papiere, um sich nach Amerika in Sidierheit zu bringen. Während dieses unfreiwilligen Aufenthalts lernt er die Geschichte der Bernadette kennen: ein Drama des Ringens zwischen göttlichem Lidit und menschlicher Finsternis, zwischen der schlichten Gläubigkeit des Bauernmädchens von Massabielle, dem leidenschaftlichen Aufstand der liberalen französischen Intelligenz und zwischen der siegreichen göttlichen Ohnmacht und der anmaßenden weltlichen Macht; ein Drama jedoch, das zugleich erfüllt ist von dem Licht gnadenvo'.ler Milde und Schönheit, das aus den Grotten von Massäbielle über ganz Frankreich strahlt. Werfel kann sich der Wucht des Dramas und dem Zauber der Bernadette nicht verschließen. Doch die trostlose Wirklichkeit, die sein Leben jeden Augenblick dem Untergang preisgeben kann, läßt ihn nur eine Sorge kennen: die Flucht nach Amerika. Und da macht der jüdische Schriftsteller der kleinen Heiligen von Lourdes das Versprechen: Wenn ich heil durchkomme, schreibe ich deine Geschichte! Die Flucht, die bereits unmöglich schien, gelingt, und innerhalb von dreieinhalb Monaten schreibt Werfel in Kalifornien, nahe bei Hollywood, „Das Lied der Bernadette“.

Perlberg liest die ersten Seiten dieses Liedes, und dann ist er so davon gepackt, daß er es noch am gleichen Abend zu Ende liest. Aber er ist nicht nur als Mensch gepackt, sondern auch als Regisseur: innerhalb von wenigen Tagen hat er vom Verfasser um 80.000 Dollar die Verfilmungsrechte des Buches erworben; ein Konkurrenzunternehmen kommt mit dem Angebot von 125.000 Dollar bereits zu spät.

Während der Film in Hollywood gedreht wird, tritt „Das Lied der Bernadette“ einen einzigartigen Siegeszug durch ganz Amerika an: es ist das Buch, das von allen begeistert gelesen wird, und es bringt dem Buch für das Jahr 1942 den Titel des „Best-Sellers“ ein. Gewiß, die Literatur über Lourdes und die Geschichte der Bernadette ist zu reich, als daß Werfel darüber wesentlich Neues sagen könnte. Aber was er dieser Geschichte — an die er sich mit fast geschichtlicher Treue hält — schenkt, das ist die dramatischlyrische Kunst eines begnadeten Dichters. Am 8. Dezember 1933 ist Bernadette Soubirous in Rom heiliggesprochen worden. Aber die große Masse der Amerikaner „entdeckt“ sie erst durch das Buch des jüdischen Schriftstellers. Und es liest ihre Geschichte mit der gleichen Begeisterung wie in vergangenen Jahren Margret Mitchells „Vom Winde verweht“.

Eine einzige Schwierigkeit gibt dem Regisseur der Fox-Gesellschaft lange zu denken: wo soll er für Bernadette die geeignete Darstellerin finden? Von den bekannten Filmdiven kommt keine in Frage. Es muß also eine Unbekannte sein; außerdem darf sie nicht eigentlich schön sein, doch soll ihr Antlitz die Anmut und Reinheit der Seele Bernadettes wiederstrahlen. So wird die unbekannte und junge Jennifer Jone als Bernadette zum gefeierten Filmstar Amerikas. Regisseure und Szenenbildner tun das übrige: Ein wunderbar getroffener musikalischer Kommentar, reichster Aufwand technischer Gestaltung, eine Fülle psychologischer Feinheiten schaffen um die vollendete und wahrhaft inspirierte Darstellung der Bernadette den würdigen Rahmen. Hier erreicht Hollywood den Gipfel echter Religiosität. Und mag auch die Erscheinung der Gottesmutter mißlungen sein, so bringen doch Regisseure und Mitdarsteller das Kunstwerk zuwege, auf das Bauernmädchen von Lourdes nicht den geringsten Schatten fallen zu lassen und die heiligsten Augenblicke ihrer Visionen in das reine Licht der Übernatur zu tauchen.

Wie zuerst das Buch, so tritt nun der Film einen beispiellosen Siegeszug an. Mehr noch als „Das Lied der Bernadette“ bezaubert der Film die Massen. Die Propaganda vermag seine Wirkung kaum zu überbieten. Selbst in den westlichen Ländern Europas, in denen der Film bereits seit Jahren läuft, hat die „20th Century Fox“ nie einen größeren Erfolg zu verzeichnen gehabt.

Aber alle film technische Vollendung und künstlerische Leistung genügen nicht, um diesen unerhörten Erfolg zu rechtfertigen Diese haben auch andere Filme zustande gebracht. In „Bernadette“ aber schaut das Publikum eine Vision, die sein Innerstes weckt und ergreift, die die heimlichste und tiefste Sehnsucht seiner Seele wachruft, die Sehnsucht nach der reinen, allen Haß und allen Zweifel überwindenden Güte, die Sehnsucht nach dem Licht ohne Schatten, nach jener letzten Gewißheit, die keine Täuschung kennt und allein jenseits dieser Erde sich findet, die Sehnsucht nach der befreienden Gnade, die alle irdischen Ketten von Schuld und Verstrickung zu sprengen weiß. In „Bernadette“ vollzieht sich ein gott-mensch-liches Drama, das immerwährende Drama unserer Geschichte, in dem das Licht in die Finsternis kommt und von dieser nicht ausgelöscht werden kann; in dem der Geist ohnmächtig der brutalen Gewalt preisgegeben scheint und von ihr doch nicht erdrückt wird; in dem Gott unendlich leise seine frohe Botschaft in den betäubenden Lärm der Welt hineinspricht und doch verstanden wird von allen, die auf seinen Anruf harren. Und im Geschehen von Lourdes ist Bernadette die Trägerin dieses Lichts und seiner lächelnd siegenden Ohnmacht, die Ruferin der leisen Botschaft des Herrn über dem düsteren Horizont unseres erdverhafteten Daseins.

Was aber Bernadette während ihres Lebens beschieden war: der Widerstand der Menschen, die um die Sicherungen ihrer engen geistigen Wohnungen fürchten, blieb auch dem Film „Bernadette“ nicht erspart. Es ist nur zu menschlich, wenn die Verherrlichung einer katholischen Heiligen in weiten nichtkatholischen Kreisen Amerikas höchste Beunruhigung und Entrüstung hervprrief. Zusammen mit anderen Zeitungen der Vereinigten Staaten eröffnete die Zeitschrift „The Protestant“ von Chikago eine scharfe Polemik gegen Hollywood: dort habe sich eine römisch-kirchliche Diktatur breitgemacht, die bestrebt sei, Filme zu drehen, welche die Verteidigung, ja Verherrlichung der katholischen Kirche und ihrer Priester zur Aufgabe hätten, dagegen aber Filme zu verhindern, welche die protestantischen Kirchen in günstiges Licht setzten; es nehme kein Ende: zuerst „Der Weg zum Glück“, dann „Die Schlüssel zum Himmelreich“, wo die Vorlage des Romans von Cronin stark zugunsten der katholischen Kirche umgestaltet worden sei, und nun „Bernadette“ bereits als dritter katholischer Film von Hollywood!

Die Antwort Hollywoods auf solchen Protest war nicht ermutigend. Man gab zu verstehen, es gehe den Filmgesellschaften gar nicht um geistige und religiöse, sondern um finanzielle Probleme; nun aber sei ein protestantischer Film ein mehr als riskantes Unternehmen: Jack Werner habe doch mit technischer Vollendung in „One Eoot in Heaveti“, das das Leben eines methodistischen Pastors zum Gegenstand hatte, einen hochwertigen Film gedreht; aber dank der ablehnenden Stellungnahme seitens der zahlreichen anderen protestantischen Denominationen sei er finanziell ein totaler Mißerfolg gewesen; so mache die Eifersucht der Sekten auf ihre großen und kleinen Verschiedenheiten jeden Film aus diesem Sektor hoffnungslos. —

Dennoch geht es auch in Hollywood um mehr als geschäftliche Einsichten. Dort, wo man immer wieder die Tagesmeinungen studiert, um die Filmproduktion darauf einzustellen, hat man gespürt, daß die Seele des modernen Menschen nach viel mehr Sehnsucht hat, als flaue Liebesabenteuer, Girlrevuen, Kriminalgeschichten und Präriejagden ä la Karl May zu bieten vermögen. Auch in Amerika sind die Tiefen der Seele am Erwachen, jener Seele, die sich hinaussehnt aus aller Eintönigkeit des Tagesgeschehens und aus dem Schmutz aller Verschuldungen und die hungert und dürstet nach jenen reinen Werten, die allein Gott und Ewigkeit schenken.

Die begeisterte Aufnahme des Films „Bernadette“ hat vor kurzem eine amerikanische Filmgesellschaft veranlaßt, von Kardinal Spellman um 120.000 Dollar die Verfilmungsrechte seines Romans „Der Findling“ zu erwerben. *

Und Franz Werfel? Er erlebte den Triumph seiner „Bernadette“, und fast schien dieser ein Gleichnis für den Triumph der Gnade zu werden. Seit Jahren wußte er sich an der Schwelle der katholischen Kirche. Doch tat er den letzten Schritt nicht. Er war überzeugt, das jüdische Volk habe heute nur die eine Sendung zu erfüllen, Buße zu tun dafür, daß es sich einst dem Messias verweigert hatte. So schien ihm der Übertritt vom Judentum zum Christentum gleichbedeutend mit Flucht vor der allen Juden aufgetragenen Sühne für Golgotha. Wer vermag die Geheimnisse einer Seele zu ergründen? —

1894 schrieb Emil Zola sein Buch über Lourdes und war überzeugt, mit all der Gemeinheit, die er über die Geschichte der Bernadette ausgegossen hatte, dem „Schwindel“ von Lourdes ein Ende gesetzt zu haben. Wenn uns aber heute ein Film an Zola erinnert, so ist es jener, der die seinerzeitige Dreyfus-Affäre zum Gegenstand hat, in die Zola verwickelt war. Das Andenken Werfeis aber bleibt mit der unsterblichen Geschichte der Bernadette verbunden, seine Diditung vollendet sich in ihrem „Lied“, und über das FiLmband der „Bernadette“ schreibt er unaufhörlich seinen Namenszug.

Wenn darum endlich auch in Wien der Film „Bernadette“ laufen wird, dann wird Franz Werfel in seinem lichtesten Glanz heimkehren in jene Stadt, die einst seine Dramen und Dichtungen gefeiert hat.

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