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Das Sterten der Bernadette

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Ihr ganzes Leben lang — sie starb im Jahre 1927 — trug Fräulein Ida Ribettes, Präfektin der Marianischen Kongregation und Freundin Bernadettes, das Bild in sich, dem sie begegnete, als sie Bernadette, die ins Kloster ging, mit dem Zug bis nach Tarbes begleitete: Da schritt Bernadette zum letzten Mate durch ihre Heimatstadt, in einem hell- und dunkelblau gestreiften Kleid, mit einer großen, gelb, grün und roten

Reisetasche, dazu einen braunroten Regenschirm, ebenso groß wie sie selbst. Zwei Nonnen rahmten sie ein: Mere Alexandrine, die Oberin im Hospiz von Lourdes, und Mere Ursule, Oberin der Niederlassung in Bagneres. Zu den drei gesellten sich zwei Postulantinneh, die wie Bernadette in Saint Gildard de Nevers eintreten wollten. . ■ -

Die viertägige Reise wurde in zwei Etappen . zurückgelegt. In Bordeaux und Perigueux, den Städten, in denen die beiden Oberinnen Häuser ihres Ordens besuchen wollten, wurde haltgemacht. Von Perigueux nach Nevers führte sie Samstag, den 7. Juli, ein Zug, der nichts von einem Expreß an sich hatte.

Nachts zehn Uhr hielt der Zug in Nevers an. Im Wagen fuhren unsere Reisenden durch leere Straßen vom Bahnhof zum Mutterhaus der Nevers-Schwestern. Eine Pforte tat sich auf. Die späten Ankömmlinge wurden niemandem mehr vorgestellt. Man führte Bernadette in den Schlafsaal der Novizinnen. Auf den Fußspitzen erreichte sie das weiße Bett in der Nähe einer Muttergottesstatue. In dieser Nacht schlief sie wenig, aber weinte viel.

An ihrer Berufung zum Klosterberuf aber hat Bernadette in Saint Gildard keinen Augenblick gezweifelt. Ihr Wunsch war es, verborgen und vergessen ihr Klosterleben zu verbringen. Gleichwohl mußte sie sich am Tag nach ihrem Eintritt allen zur Schau stellen. So wie sie gekommen war, in ihrem malerischen Pyrenäenkleid mit dem Halstuch und dem blauen Rock führte man sie in den großen Noviziatssaal vor die wohlehrwürdige Frau Mutter und deren ehrwürdige Rätinnen, vor alle Nonnen, Novizinnen und Postulantinnen, die in Nevers zugegen waren. Und nun hörten sie schweigend und staunend, in ihrem Innersten bewegt und ergriffen, wie ihnen die Seherin von Lourdes von den Erscheinungen der allerseligsten Jungfrau erzählte, deren Haltung und Gesten nachahmte und deren unsterblichen Worte wiederholte: „Ich bin die Unbefleckte Empfängnis.“ — Damit allerdings hatte es sein Bewenden für immer; denn gemäß einem Befehl ihrer Vorgesetzten, des Bischofs von Nevers und der Klosteroberen von Saint Gildard, war es ihr und allen Schwestern fürderhin verboten, je wieder über die Erscheinungen von Lourdes miteinander zu reden. Das „Tagebuch des Noviziats“ gibt die Empfindungen von damals so wieder: „Drei Postulantinnen. Unter den beiden aus Lourdes befindet sich Bernadette, das auserwählte Kind, dem die aller-seligste Jungfrau erschienen ist. Von der ganzen Klostergemeinschaft wurde sie herzlich willkommen geheißen.“ Zwölf Tage nach ihrem Ein-tritt konnte Bernadette ihren Eltern melden:

„Schon gut eingelebt und vollkommen zufrieden. Macht euch keine Sorgen meinetwegen!“ *

Zur Zeit, da Bernadette in Saint Gildard eintrat, um ihr Postulat zu beginnen, ragte Mere Marie-Therese Vauzou als eine der markantesten Persönlichkeiten aus der Klostergemeinschaft hervor. Ihr hatte Mutter Josephine Imbert, die Generaloberin, weil von schwächlicher Gesundheit, den Großteil ihrer Befugnisse abgetreten. Als Tochter eines Notars hatte man Schwester Marie-Therese in angesehenen Pen-sionaten auf erzogen; sie war intelligent, geschult, vertraut im Umgang mit der Welt und stand im besten Alter. Ihre zweifellos sehr ernsthafte Umbildung zur Nonne und Religiösen hinderte sie nicht, auch unter dem Schleier auf ihre Art und Weise die Dame von Welt und die unerschütterliche Autoritätsperson zu bleiben. Zwar befiehlt sie im Namen der heiligen Ordensregel, die sie liebt; sie überhört jedoch gelegentlich, wie Reizbarkeit und Kaltblütigkeit ihre Anordnungen begleiten. Für den geistigen und geistlichen Fortschritt ihrer Novizinnen legt sie einen wahrhaftigen Eifer an den Tag. Sie möchte sie zu demütigen und vertrauensvollen Wesen machen, aber von einem Vertrauen, das diesen Seelen ihr gegenüber kein Geheimnis mehr zugesteht. Sie ordnet Bußübungen an, die damals in Ordenshäusern üblich waren; doch die ärgste Pein und größte Strafe unter dem Zepter der Mere Vauzou besteht in der Frostigkeit und Kälte, die sie jene spüren läßt, mit denen sie nicht zufrieden ist.

Das ist das bittere Los, das Bernadette zuteil wird. Zwei Tage nach ihrer Ankunft hat sie ihr Pyrenäenkopftuch umgetauscht mit der kleinen schwarzen Mütze der Postulantinnen. Von da an löst sie sich, gemäß einem Lieblingswort der Novizenmeisterin, im Kreise ihrer Mitkandidatinnen „wie Zucker im Wasser“ auf. In den Augen von Schwester Vauzou ist die Seherin von Lourdes nur mehr eine Tochter, die für das Ordensleben geformt und erzogen werden muß. Weil man aber die himmlischen Gunsterweise, die ihr widerfuhren, so wenig vergessen hat wie die Begeisterung, die sie weckte, glaubt

man, alles unternehmen zu müssen, um die Versuchungen des Stolzes und der Eitelkeit von Bernadette fernzuhalten. Schwester Marie-Therese scheint von jenen Selbstbeurteilungen der Seherin, die im Noviziat die Runde machten, nichts vernommen zu haben: „Die aller-seligste Jungfrau wählte mich nur aus, weil ich die Unwissendste war... Sie bediente sich meiner wie eines Kieselsteins ...“

Bernadette nimmt eine hatte Behandlung demütig hin, jener gegenüber aber, die auf sie einhämmert, bleibt ihre Seele verriegelt und verschlossen. Weder Haß noch Verachtung von der einen oder von der anderen Seite trennt die zwei; zwischen den beiden steht das Sichnicht-verstehenkönnen zweier sehr begabter, aber völlig gegensätzlicher Naturen und Seelen. In die Freuden Bernadettes, im Dienste Gottes zu stehen, mischen sich wie Wermutstropfen die Schmerzen dieses „Herzensmartyriums“. Man versteht, wie eine ihrer Mitnovizinnen sich damit trösten konnte: „Was für ein Glück, nicht Bernadette zu sein!“ Doch Bernadette macht Fortschritte auf den Wegen zum Uebernatür-Iichen. Eines Tages wird sie vollkommen ehrlich von Schwester Marie-Therese bekennen: „Ich bin ihr zu großem Dank verpflichtet für das Gute, das sie meiner Seele erwiesen hat.“ *

Am Morgen des 30. Oktober 1867 befand sie sich unter den fünfundvierzig Postulantinnen, die mit ihr das Ordenskleid erhalten hatten und nun ihre Gelübde ablegten.

Bischof Forcade kam am Nachmittag nochmals nach Saint Gildard. um den neuen Profesen den Ausweis- und Erlaubnisschein für ihr erstes Wirkungsfeld auszuhändigen. Mit Rücksicht auf ihre schwächliche Gesundheit, aber auch um kein Aufsehen zu erregen, wenn man sie vom Mutterhaus in Nevers anderswohin versetzt hätte, waren der Bischof und die Generaloberin übereingekommen, Schwester Marie-Bernard in Saint Gildard zu behalten. Da der gnädige Herr keinen Auftrags- und Sendungs-

schein, der auf ihren Namen lautete, in Händen hielt, lenkte er sie mit der Bemerkung ab: „Und Ihnen, Schwester Marie-Bernard, gebe ich den Auftrag, sich dem Gebete zu widmen.“ Wahrhaftig eine erhabene Sendung! — Doch auf die praktischen Betätigungen anspielend, die er den übrigen Novizen zugewiesen hatte, knüpfte er die Frage an: „Sie sind also für nichts gut?“ — „Die Frau Mutter täuscht sich wirklich nicht“, gab Bernadette zur Antwort, „das stimmt ganz und gar, gnädiger Herr, ich habe Ihnen das in Lourdes schon gesagt und Sie haben damals geantwortet, das spiele keine Rolle und mache nichts aus.“

*

Ungeachtet aller gesundheitlichen und anderen Hindernisse, die sich in den Weg stellten, legten die Oberinnen Wert darauf, Bernadette nicht ohne Beschäftigung zu lassen. Man gab deshalb Schwester Marie-Bernard vorerst der Leiterin der Krankenabteilung, Schwester Marthe Fores, deren Gesundheit nicht rosiger war als jene Bernadettes, zur Gehilfin. Die beiden hatten in vier Sälen, die im Nordtrakt des Hauptgebäudes lagen, die Kranken zu betreuen. Dank des wohlwollenden Einverständnisses von Schwester Marthe erweiterte Schwester Marie-Bernard bald den Rahmen ihrer Tätigkeit. Nonnen, die von ihr in der Krankenabteilung gepflegt worden waren, lobten sie als „frohmütig, liebenswürdig, zuvorkommend, voller Güte, ebenso geschickt wie dienstbeflissen, von einem besonderen Talent für die Behandlung Kranker; immer wieder fand sie ein aufmunterndes Wort, das einem das Einnehmen selbst der bittersten Medizin erleichterte“.

Doch der sympathische Arzt des Spitals, der sie als Assistentin zugeteilt erhielt, erkannte gegen 1873 auch, daß Schwester Marie-Bernard wie ihre Vorgängerin Gefahr lief, selbst ein Opfer der Krankheit zu werden. Von da. an teilte man ihr eine Arbeit zu, die ihren ver-

minderten Kräften entsprach. Als Gehilfin der Sakristanin betrat Bernadette jene Welt des Schweigens und der Betrachtung, die fürderhin die ihre bleiben sollte. Sie zierte die Altäre mit Blumen, stellte und legte Ziborien, Kelche und Ornate für die Messe bereit. Dazwischen fand sie Muße genug, in geistlichen Büchern zu blättern, Beschreibungen von Heiligenleben zu lesen, Kirchenwäsche zu schneidern und zu sticken. Aber dann ergriff die Krankheit endgültig von ihr Besitz.

Der Frühling 1878 war in Nevers von außerordentlicher Milde. Trotz ihren Leiden konnte Bernadette bis in den Herbst hinein fast jeden Tag ihr Krankenbett verlassen. Im September

machte sie die geistlichen Liebungen mit, die der Ablegung der ewigen Gelübde vorangingen. „Ich wähnte im Himmel zu sein!“ rief sie nach dieser Krönung ihres Ordenslebens aus.

Der Oktober brachte die ersten Kälteschauer. Mit jedem Tag wurde die Strecke Wegs, die unsere Kranke noch zurückzulegen vermochte, kürzer. Von der Krankenabteilung -konnte man direkt auf die Empore der Klosterkirche gelangen. Dorthin schleppte sich Bernadette auf ihren Krücken, oder Krankenschwestern trugen sie auf einem Fauteuil hinüber. Dort holte sie, wie Schwester Eleonore Cassagnes es bezeugte, „die Kraft, mit starker Seele unsagbare Schmerzen zu ertragen“. Den Blick auf den Tabernakel gerichtet, zog sie ihren Sclbiere* tidf5 ftrs Cesieh*A-J hüllte sich ganz in ihn ein und betete. „Das ist

meine Kapelle“, erklärte sie Erstaunten, „so bin ich ganz für mich allein.“

Am 8. Dezember, dem Fest der Unbefleckten Empfängnis, brachte man sie zur Messe in den Chor der Ordensschwestern. Von da an blieb sie unablässig ans Bett gefesselt. Der Kniekrebs, der erschreckende Formen angenommen hatte, bereitete ihr furchtbare Schmerzen; sie war eine stille Dulderin. Während langer, schlafloser Nächten rührte sie sich kaum, um ja nicht die anderen Kranken zu belästigen.

Am 28. März 1879, am Feste der Schmerzensmutter Maria, zeigte sich Bernadette sterbenskrank. Abbe Febvre, der Beichtvater im Mutterhaus, brachte ihr die heilige Wegzehrung und spendete ihr die Letzte Oelung. , *

Noch drei Wochen lang muß sie leidend ausharren, ehe ihr jenes Glück zuteil wird, das gemäß dem Versprechen der Allerseligsten in der anderen Welt ihrer wartet.

Bernadette hat es selbst vorausgesagt: „Meine Passion wird über Ostern hinaus dauern.“ — Im Jahre 1879 fällt das Osterfest auf den 13. April. Anderntags kommt eine Schwester zu ihr und begrüßt sie mit der Osterbotschaft: „Er ist auferstanden, alleluja!“ Die Müllerstochter stöhnt vor Schmerz. „Wie ein Getreidekorn werde icl gemahlen.“ In der Nacht vom Montag auf der Dienstag ist sie sichtlich den Anfechtungen des Todes ausgesetzt. Sie zittert, keucht, kär.pft gegen Verzweiflung an und schreit in Angst und Not: „Weiche von mir, Satan!“

Am Dienstagmorgen ist sie noch so bei Kräften, daß sie kommunizieren kann. Sie äußert den Wunsch, der Geistliche möge in ihrer Nähe bleiben. Ueber ihre Seele senkt sich das Dunkel der Umnachtung. Kalter Schweiß perlt auf ihrer Stirne. „Ich habe Angst!“ klagt sie mehrmals. „So viele Gnaden habe ich erhalten und so wenig habe ich sie genutzt.“ Sie bleibt völlig bei Bewußtsein und trinkt den Kelch der Bitternis bis zur Neige. „Liebes Schwesterchen“, tröstet sie zart und rücksichtsvoll eine Nonne, die bei ihr Wache hält, „alle Verdienste des göttlichen Herzens kommen uns zugute. Opfern Sie Ihre Leiden Gott auf, um Ihre Schulden zu

begleichen und zum Dank für all Seine Wohltaten!“ — „Wie dank ich Ihnen!“ gibt die Sterbenskranke zur Antwort.

Endlos schien der Krankenwä'rterin die Nacht vom Dienstag auf den Mittwoch. Die vom Tod Gezeichnete jedoch „ließ kein Wort der Ungeduld oder Unzufriedenheit verlauten“. Am Morgen des Mittwoch nach Ostern — an diesem Tag ereignete sich vor 21 Jahren bei der Grotte „das Wunder mit der Kerze“ — treten die Schmerzen erneut und mit verdoppelter Heftigkeit auf. „Meine liebe Schwester“, gibt ihr Mere Eleonore Cassagne, die man als ihren irdischen Schutzengel bezeichnete, zu verstehen, „nun beginnt für Sie die Stunde der Kreuzigung“. Bernadette breitet die Hände aus: „Mein Jesus, wie liebe ich Dich!“ Um ihre Erstickungsanfälle zu mildern, hebt man die Kranke gegen elf Uhr auf einen Sessel vor ,dem Kamin, in dem flackerndes Feuer Wärme verbreitet. Still liegt sie da und schaut zur Marienstatue auf, die zwischen Kerzen auf dem Kaminrand steht. Um ein Uhr nachmittags ruft sie plötzlich aus: „Oh, ich habe sie gesehen! Wie schön war siel Ich will mich beeilen, sie wiederzusehen!“ Ein Weilchen später versucht sie sich zu erheben. „Oh — oh — oh!“ Es ist drei Uhr. Mit ängstlicher Stimme seufzt sie: „Mein Gott, mein Gott'“ Eine Nonne beginnt das „Gegrüßt .seist du, Maria!“ zu beten. Wie sie bei der Stelle angelangt ist: „Heilige Maria, Mutter Gottes.. “ fährt Bernadette fort: „Bitte für mich, arme Sünderin - arme Sünderin!“ — und stirbt.

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