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Die Tragödie des Hyacinthe de Lafite

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Wie in früheren Zeiten vielfach die Maler in irgendeiner Ecke der Bilder ein Porfräl von sich selbst malten, so hat auch Franz Werfel in seinem Buche „Das Lied der Bernadette“ sich selbst porträtiert. Die Figur des Dichters Hyacinthe de Lafite.. die Im Roman eine scheinbar untergeordnete Rolle spielt, ist niemand anderer als Franz Werfel selbst, und die Worte, die Werfel diesen Dichter sprechen läßt, können mit grofjer Wahrscheinlichkeit als sein eigenes Bekenntnis angesehen v/erden.

Franz Werfel schrieb den Roman als Erfüllung eines Gelübdes. Der Dichter, der als Emigrant in Frankreich lebte, mußte 1940 vor den Deutschen fliehen. Er versuchle, Spanien zu erreichen. In Lourdes, dem Gnadenort am Fuße der Pyrenäen, an der Grenze nach Spanien, kann er nicht mehr weiter. Er muß warfen, bis er die nötigen Dokumente bekommt. In dieser Zeit, da er auf die Papiere wartet, lernt er die Geschichte des Mädchens Bernadette Soubirous und der Erscheinungen von Lourdes kennen, von denen er bisher nur eine ganz verschwommene Kenntnis halle. In seiner Angst macht Franz Werlel eines Tages ein Gelübde: Wenn er die Grenze überschreiten und die rettende Küste Amerikas erreichen kann, dann wird er vor allen anderen Arbeilen die Geschichte des Mädchens Bernadette erzählen. Das Gelübde macht er Bernadette, nichf der Gotlesmutlar. Viele werden sich wundern, meint der Dichter, daß e r das Lied einer katholischen Heiligen singe, er, der gar kein Katholik, sondern ein Jude sei. Aber, so fährt der Dichter fort, am Beginn seiner dichterischen Tätigkeit habe er ein Gelübde abgelegt, das göttliche Geheimnis und die menschliche Heiligkeit, wo immer er sie treffe, zu verherrlichen. Das Gelübde in Lourdes sei somit nichts anderes, als die Erfüllung dieses viel älteren Gelübdes.

Hier, in diesen Worten der Einleitung, spricht der Dichter das einzige Mal selbst von der Tragödie seiner Seele, Im übrigen Teil des Buches läßt er nur den Dichter Hyacinthe de Laute sprechen. Er, der in Lourdes die Geschichte der Bernadette erfuhr, lernte durch sie auch die Mutter Gottes kennen, und bei logischem V/eiferdenken hätte er von Maria zu Christus kommen müssen. Aber der Dichter geht nicht den Weg zu Christus, zuminde-stens in diesem Buche noch nicht. Er könnte die Worte sprechen, die im „Schweißtuch der Veronika“ von Gertrud von le Fort die Tante Edeigart bei ihrer Beichte spricht: „Ich habe mich Gott nicht versagt mit einem klaren und eindeutigen Nein, sondern mit einem undeutlichen Ja. Ich habe mich Gott nie völlig hingegeben.“ Der Dichter yersagi sich Gotf, er versagt sich mit einem undeutlichen Ja, er bekennt sich weiter zum neutralen „göttlichen Geheimnis“ statt zu Gott, obwohl er spürt, dafj man sich, wie er Hyacinthe de Lafite sagen läfjt, „für oder gegen die Dame von Massabielle entscheiden müsse“. Er bekannt sich mit einem undeutlichen Ja, indem er sich zum Mädchen Bernadette bekennt. Er bekennt sich auch zu den Wundern, aber die sind ihm nur ein Ausfluß des „göttlichen Geheimnisses“, Er leugnet die Wunder gar nicht, er stolpert auch nicht über sie. Er ist ein „unabhängiger Geist“, lärjf er Hyacinthe de Lafite sagen, der auf dem „Slandpunkl der voraussetzungslosen Wissenschaff sieh!“, jener Wissenschaft, „die jedes Phänomen, auch das unglaubwürdigste, als solches anerkennt“. Zweifellos sind die Erscheinungen von Lourdes ein Phänomen, das in einem „göttlichen Geheimnis“ seinen Ursprung hat. Aber muh dieses Geheimnis schon das Geheimnis des Chrisfengoftes sein, könnten es nicht auch göttliche Erscheinungen anderer Art sein? Denn der Dichter steht auf dem Standpunkt, daß es, wie er durch Hyacinthe de Laute verkünde), „immer eine Bernadette geben wird, der eine unsichtbare Dame erscheint, sei es nun die Göttin Diana oder die heimische Quellennymphe — oder die Mutter Gottes“. Im Grunde wird „zwischen den Bauernkindern von hundert Jahren vor Christus und denen von 1850 kein wesentlicher seelischer und geistiger Unterschied sein“. Damit sagt der Dichter doch, dar) er mit der gleichen Begeisterung und mll der gleichen UeberzeugungskFaft irgendwelche sagenhafte Erscheinungen der Göttin Diana schildern könnte, denn er „gehört nichf zu den Stümpern, die etwas gesehen haben müssen, um es darstellen zu können“. Er glaubt über all diesen Dingen stehen zu können, da er, wie Hyacinthe de Lafite sagt, „nichf zu den Spielern des Lebens gehört, sondern zu ihren teilnahmslosen Zuschauern“, was ihm „eine berauschende Ueberlegenheit verleiht“ und ihn instand setzt, über solche Begebenheiten mit „spielerischer Ironie“ zu schreiben.

Aber in Wirklichkeit Ist er gar nicht mehr in „teilnahmsloser Zuschauer“. Lourdes hat auch ihn gepackt, mehr noch, die Gnade hat ihn an der Hand genommen und führt Ihn, sie läfjt ihn aus einem „teilnahmslosen Zuschauer“ zu einem Verkünder mindestens der Helligkeit, und zwar der christlichen Heiligkeit werden, der Heiligkeif der kleinen Bernadette. Es dämmert in ihm auf, wer hinter dem „göttlichen Geheimnis“ steht, er ahnt auch, dah für i h n die Enthüllung dieses Geheimnisses über die Dame aus der Grotte von Massabielle geht, und er weih deshalb, dah er „sich für oder gegen sie entscheiden müsse“. Der Dichter steht an der Grenze, er mühte nur noch einen Schritt tun, müßte ihn allerdings von sich aus tun, um zu sehen, wen das „göttliche Geheimnis“ birgt. „Gott geht mit den Menschen nur hart bis an die Grenze, wo kein Widerstreben mehr möglich ist, aber diese Grenze überschreitet er nie, sondern diese Grenze muh der Mensch selbst überschreiten. Denn die Gnade Ist keine Gewalt, sondern Freiheit. Zum Leben wird der Mensch gezwungen und zum Tode wird er gezwungen, nur zu Gott wird niemand gezwungen, heifjt es im „Schweiß-fuch der Veronika“ von le Fort.

Diesen Schritt will der Dichter nicht gehen, er begnüngf sich mit dem Glauben an das „göttliche Geheimnis“, er glaubt weifer an ein Neutrum und nicht an die Person. Er versagt sich mit einem undeutlichen Ja, indem er sich nur zu dem menschlich Greifbaren bekennt. Das menschlich Greifbare, das ist Bernadette Soubirous und zu ihr Iaht er den Dichter Hyacinthe de Lafite sprechen: „Bernadette Soubirous, bitte für michl“ Hat nicht der Dichter Franz Werfel genau so zu Ihr gebetet und ihr und nichf der Goflesmutter das Gelübde abgelegt? Denn, so wird sein Gedankengang gewesen sein, Bernadette ist menschlich gegenwärtig, sie war im vertrauten Verkehr mit dem göttlichen Geheimnis, die Dame von Massabielle ist der Bote von drüben; wenn er Bernadette bitte, wird sie diese Bitte weiterleiten an die Dame von Massabielle und diese v/ieder an das „göttliche Geheimnis“. Er will nur auf ganz sicheren Wegen gehen. Aber beim Gedanken an die Stunde seines Todes — und der Tod ist nahe, das weiß der Dichter, denn „Ich habe den Krebs in mir“, sagt Hyacinthe de Lafite (Werfel starb wirklich ein paar Jahre nach Vollendung der „Bernadette“) — In der Nähe des Todes verläfjt er allen sicheren Boden und bittet jetzt schon: „Ich werde allein sterben und niemand wird bei mir sein, als Du, Du Zuflucht der Sünderl Er scheint den Schritt zu wagen von Bernadette zu Maria, von Maria zu Christus — und bleibt stehen bei der Dame von Massabielle. Es ist der äußerste Punkt, an den er geht.

Aber der Dichter erkennt — soweit hat Ihn Lourdes doch gebracht —, was Ihm fehlt, den Schritt, den einzigen selbständigen Schritt zu machen, der zu Gotl führt: Es Ist die Demut. „Ich habe erkannt, dah Ich auf dieser Welt der allergrößte Sünder bin“, sagt Hyacinthe de Lafife. „Ich spreche von der zentralsten Sünde der Genesis, von dem Hochmut. Wenn ich Gotf nicht erkannte, so geschah dies nur, weil ich es nichf erfragen hätte, dah ich nicht ER sei.“ Und „der Hoch-. mut hat mich zerstör)“, klagt Hyacinthe de Lafite, den enscheidenden Entschluß zu fassen, sich zu Christus zu bekennen. „In den schweren Nächten des letzten Jahres“, sagt Hyacinthe de Lafite weiter — und die Erinnerung an die schweren Nächte des Jahres, da Werfel vor den Deutschen floh und mit Todesangst auf die Rettung wartete, wird dem Dichter diese Worte diktiert haben —, „habe Ich erkannt, daß die Sünde weniger Gott schadet als uns Menschen“.

Der Hochmut hat ihn so zerstört, meint der Dichter, dafj er den Glauben an Gott nicht mehr erreichen konnfe, und dal) er bei seinem Glauben an das „göttliche Geheimnis“ blieb. Und dennoch: Uebersah er, dafj mit dem Gebet, „Bernadette, bitfe für mich“ und „Du wirst bei mir sein, du Zuflucht der Sünder“, sein Antlitz schon dem Anflitz Christi zuwandte, wenn er auch noch nichf äußerlich den letzten Schritt zu ihm hin tat?

Kurz vor seinem Tode erklärte Franz Werfel, dafj er sich taufen lassen wolle. Da er aber dann plötzlich starb, ohne getauft worden zu sein, nahm man an, daß er die Begierdetaufe erhalten habe und als Katholik gestorben sei, weshalb er mit Bewilligung des Bischofs ein katholisches Begräbnis erhielt.

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