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Raus aus der Isolation

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Die ärztlichen Leiter und Verwaltungsdirektoren der Psychiatrischen Anstalten Österreichs formieren sich zum Gegenangriff.

In einer gemeinsamen Entschließung an alle Landeshauptleute bitten sie um Unterstützung gegen die „gegenwärtigen Hetz-campagnen” und „gehässigen Globalangriffe seitens mancher Massenmedien — vor allem des ORF”.

„Pseudodokumentarische Berichte” konzentrierten sich „unter Außerachtlassung jeglicher Objektivität auf absurde Beispiele” und stellten sie „als angeblich repräsentativ für die österreichische Psychiatrie schlechthin” dar, heißt es in der Entschließung weiter.

Die Ärzte und Verwalter bitten deshalb „die Herren Landeshauptleute; die Mitglieder der Landesregierungen und alle zuständigen Ämter und Dienststellen” unter anderem „um wirksamen und auch für die Öffentlichkeit erkennbaren Schutz vor derartigen Globalangriffen... und um Zurückweisung der Beleidigung und Verunglimpfung eines ganzen Berufsstandes”.

Starke Worte, die den oft rüden Angriffen der Anti-Psychiatriebewegung an Schärfe um nichts nachstehen.

Allerdings, so der „Senior” unter den Psychiatrie-Primarii, der Salzburger Universitätsprofessor Gerhart Harrer, erwarte man sich kaum eine gemeinsame Solidaritätsadresse aller Landeshauptleute. Zu unterschiedlich sei schon die Situation der Psychiatrie in den einzelnen Bundesländern.

Wenn es aber gelingt, daß die Gespräche zwischen den Verantwortlichen in der Psychiatrie und den zuständigen politischen und behördlichen Stellen um einiges intensiviert werden, dann, gibt sich Harrer bescheiden, „haben wir schon viel erreicht”.

Zumindest ein zuständiger Landesrat, der Kärntner Gesundheitsreferent Rudolf Gallob, steht' „voll und ganz hinter der Resolution” der Ärzte und Verwalter.

Gallob hatte auch nach der umstrittenen „Teleobjektiv”-Sen-dung über Mißstände in einigen psychiatrischen Anstalten die „Kommission zur Wahrung des Rundfunkgesetzes” angerufen.

Mitte Jänner 1982 wies die Kommission dann die Beschwerde Gallobs zurück, indem sie feststellte, die Sendung habe sich noch innerhalb des gesetzlichen Objektivitätsgebotes bewegt: Allerdings mit der Einschränkung, Claus Gatterers TV-Magazin sei mit dem Psychiatrie-Report „am Rande des Gesetzes” gewandelt.

Gatterer selbst ist stolz auf die Arbeit seines Mitarbeiters Kurt Langbein. An diesen in „Teleobjektiv” einmaligen Beitrag hätte sich, so Gatterer, eine ganze Reihe von Zeitungen angehängt und die Mißstände in Teilen der österreichischen Psychiatrie nach und nach aufgedeckt.

Die Entschließung der Ärzte, ihre Attacke insbesondere auf den ORF, kosten Gatterer ein Lächeln. Bei der Vorbereitung zur Sendung hat er eine Resolution der Ärztekammer ausgegraben, die in ähnlichem Ton schon vor gut siebzig Jahren im Reichsrat gegen die damals geplante Psychiatriereform Sturm gelaufen sei.

Aber, gesteht auch Gatterer zu, man könne die Psychiatrie in Österreich nicht über einen Leisten schlagen. Vor allem sei die Universitätspsychiatrie eine andere als die Anstaltspsychiatrie.

Und was für eine Großstadt wie Wien gut sein kann, muß nicht unbedingt den Bedürfnissen in den Bundesländern entsprechen.

Seit 1979. der Beschlußfassung des Psychiatrie-Zielplanes, ist man in Wien auf dem langen Marsch zu einer adäquaten psychiatrischen Versorgung und Betreuung.

Die Bilanz nach drei Jahren: „Die Psychiatriereform ist zu drei Viertel verwirklicht. Wir sind rascher als gedacht vorangekommen”, melden nicht ohne Stolz der Wiener Gesundheitsstadtrat Alois Stacher und sein Psychiatrie-Beauftragter, der Chefarzt des Kuratoriums für psychosoziale Dienste, Stephan Rudas.

In den psychiatrischen Krankenhäusern der Stadt Wien auf der Baumgartner Höhe und in Ybbs, in der Vergangenheit wiederholt im Zentrum der Kritik, konnte die Zahl der Patienten wesentlich gesenkt werden.

Und Rudas glaubt auch, daß die

Psychiatriereform nur deshalb so rasch gelungen ist, weil sie zum einen Teil von allen politischen Parteien getragen wird und zum anderen „in Solidarität mit den Anstalten” erfolgt. Denn die Plackerei in der psychiatrischen Arbeit müssen die psychiatrischen Großkrankenhäuser leisten.

Deshalb habe er, behauptet Rudas, auch eine gute Position in der Klinik verlassen und stellt sich nunmehr täglich der aufreibenden „Versorgungsmühle”.

Und er stellt sich auch vor seine Mitarbeiter, immer dann, wenn sie der öffentlichen Kritik ausgesetzt werden.

Allerdings, kommt der Einwand von Rudas bezüglich der harschen Kritik der ärztlichen und Verwaltungsdirektoren der psychiatrischen Krankenhäuser an den Medien, „die Psychiatrie ist ein gesellschaftliches Geschehen. Und die Medien müssen über gesellschaftliche Geschehen berichten”. Die Psychiatrie, meint Rudas, „hat kein Recht auf Exterritorialität”.

Die Öffentlichkeitsarbeit ist zumindest in Wien ein untrennbarer Teil der Psychiatriereform. Stadtrat Alois Stacher informiert seit 1979 zweimal im Jahr die Presse — was nicht immer angenehm für die Verantwortlichen ausfallen muß.

Die Psychiatrie agierte jahrzehntelang im medialen Abseits, von der Gesellschaft unbeachtet und manövrierte sich damit in eine verhängnisvolle Isolation.

Nunmehr geht es darum, die Mitverantwortung der Ärzte, des Pflegepersonals, der Politiker, auch der Medien, wie aber überhaupt der ganzen Gesellschaft für das zu gewinnen, was mit psychisch Kranken innerhalb und außerhalb von Anstalten geschieht und geschehen soll.

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