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Regie des Zufalls

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Wird die Tiroler SP klerikal? Angesichts der Tatsache, daß sich der katholische Landesparteiobmann Salcher einen Doktor der Theologie zum neuen Landessekretär holte und gleichzeitig ein ehemaliges Mitglied der katholischen Hochschülerschaft zum Landesstellenleiter des Renner-Institutes küren ließ, ist diese Frage nicht völlig aus der Luft gegriffen. Trotzdem kann man Salchers Versicherung gerne glauben, daß diese ungewöhnliche Konstellation lediglich der Regie des Zufalls zuzuschreiben sei. Jedenfalls ist die langfristig vakante Stelle eines SP-Landespar-teisekretärs in Tirol nun wieder besetzt.

Der neue Mann heißt Lothar Müller und genießt, genau wie sein ins Handelsministerium Übersiedeiter Vorgänger, Herbert Tieber, das volle Vertrauen der Funktionäre und die Sympathie seines Meisters. „Der Theologie-Doktor war innerparteilich überhaupt kein Problem“, beteuert Salcher und präsentiert zur Bestätigung das Wahlergebnis des Parteivorstandes: von 28 Stimmen erhielt Müller 25. Der neue Landessekretär ist allerdings kein Neuling in der SPÖ. Er trat 1972 „aus Überzeugung“ der SP bei und war zwei Jahre lang Leiter des Karl-Renner-Institutes Tirol. Dort wurde nun der einstige katholische Hochschüler Franz Hosp sein Nachfolger.

Wie Tieber ist auch Müller in Tirol ein „Zuagroaster“. Er wurde 1947 in Bludenz geboren. Die Pflichtschule besuchte er in Vorarlberg, das Gymnasium in Graz. 1966/67 war er Einjährig-Freiwilliger beim Bundesheer und begann anschließend im Priesterseminar in Innsbruck das Theologiestudium. „Damals hatte ich

konkrete klerikale Absichten“, versichert SP-Sekretär Müller. Seit 1969 ist er Laientheologe und war auch eine Zeitlang Assistent am Institut für Moraltheologie an der Universität Innsbruck. Daneben studierte er Politikwissenschaft und Jus und wurde 1975 zum Dr. theol. promoviert. Seine Konversion ins rote Lager begründet Lothar Müller wie folgt: „Das Miterleben des Schicksals der Katholischen Hochschulgemeinde Innsbruck, des Jugendzentrums 76, Pater Kripps und Pater Schupps und ähnlicher Ereignisse führten zu einer Gesinnungsänderung“. Als seine Hauptaufgabe in der neuen Position sieht er zunächst die Straffung und Stärkung der SP-Or-ganisation. Besonderes Augenmerk will er auch der Jugendarbeit und der Öffentlichkeitsarbeit widmen. In seiner Eigenschaft als Laientheologe sieht er sich im Schöße der Sozialistischen Partei keineswegs fehl am Platz, sondern hofft, nun auch zu einer „differenzierten Beurteilung der Kirche“ von Seiten der SP-Funk-tionäre beitragen zu können.

Wie Salcher bekennt, gelang die Theologen-Installierung in der SP Tirol erst mit dem zweiten Anlauf: „Ich habe Lothar Müller schon vor einem Jahr vorgeschlagen, aber das Echo in Funktionärskreisen war nicht sonderlich begeistert; erst als sich von den 15.000 Tiroler Parteimitgliedern niemand bereit erklärte, den Posten des Landessekretärs zu übernehmen und Müller an das Renner-Institut Wien zu übersiedeln beabsichtigte, wollten ihn auf einmal alle haben.“ Die Emigration roter Intelligenz nach dem Osten wurde auf diese Weise vorerst gstoppt.

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