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Sehnsüchtig

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Es gibt zwei „Freuden-Sonntage“ im Kirchenjahr, beide in einer „violetten“ Zeit. Dazu eine Erklärung: In der alten Liturgie gab man den Sonntagen gern den (lateinischen) Namen des ersten Wortes aus dem Eingangsvers. So hieß der dritte Adventsonntag „Gaudete“ und der vierte Fastensonntag „Kaetare“ — beides in der Bedeutung von Freude. Es fällt nun auf, daß man nicht die Feste so benannte, sondern einen Sonntag knapp davor.

Wer die Symbolsprache der Liturgie zu lesen versteht, kann darin eine Lektion über die Sehnsucht erkennen. Uber jene rätselhafte Gestimmtheit des Menschen, die sich, halb lustvoll und halb schmerzlich, im Anstreben und in der Erwartung eines Zieles steigert, um in der Erfüllung' zu erlöschen. Der Sehnsüchtige findet sich seltsam genarrt, wenn er die Vorfreude als die schönste Freude und die Vorlust als tiefste Lust empfindet. Er findet sich süchtig“ im wahren Sinn, nämlich „jiech“ (woher das Wort kommt), krank, gebrochen, unvollständig. Der Mensch — das sehnsüchtige Wesen.

Bräuche und Riten des Advent kennen dieses Kultivieren der Vorfreude. Den beiden Sonntagen „Gaudete“ und ,JLaetare“ ist die seltene Farbe Rosa vorbehalten, die liturgisch genaue Färbung der Kerzen des Adventkranzes ist eigentlich in der Folge der vier Sonntage: violett — violett — rosa — violett. Auf diese Weise wird die Botschaft unterstrichen: Freut euch! Denn der Herr ist nahe. Diese Symbolik verrät einiges Einfühlungsvermögen in die menschliche Seele und in die — wenigstens vorläufigen — Bedingungen des Glücks.

In die Sprache unsrer Erfahrung übertragen, könnte die Botschaft des roten Meßgewandes und der rosa Kerze lauten: Sei nicht allzu bekümmert, wenn deine Sehnsucht dich umhertreibt, wenn du beim Heimatsuchen soviel an Fremde und sowenig Heimat findest, wenn die Suche nach Glück so mühsam und lang und die Erfüllung so selten und knapp bemessen ist. Lerne verstehen, warum deine Liebesversuche so selten, und ohne Leid überhaupt nicht, gelingen, und daß die Umarmungen mehr Rast auf der Flucht als endgültiges Ruhefinden sind. Denn das, wohin dein Herz dich zieht, wirst du hier nur in Fragmenten, in Bildern und in Ahnungen finden. Das, wohin dein Herz dich zieht, liegt jenseits der Grenze...

Knapp vor dem Weihnachtsfest, noch in der Erwartung stehend, schon wissend, daß in der Erfüllung die nächste Sehnsucht keimt, erhoffen wir die letzte Ankunft. Heimat, Umarmung und Frieden für immer.

Vierter Teil einer Serie über Zeichen und Symbole im Jahreskreis der Kirche.

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