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Trivialalchimie

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Lord Fitztollemache kommt bei der Tür herein, hebt den mitgebrachten Dolch, um seine schlafende Gattin zu ermorden, aber sie erwacht gerade, da läßt er davon ab. Doch hat er den Sy-phon vergiftet, um wenigstens ihren Liebhaber ins Jenseits zu verfrachten. Das - bei G. B. Shaw? Tatsächlich - in der einaktigen Tragödie „Leidenschaft, Gift und Versteinerung oder Die verhängnisvolle Syphonflasche“, derzeit im „Experiment Theater am Liechtenwerd“.

Ein erheblicher Gegensatz zu Shaws bekannten Stücken. Dieses hier ist eine Persiflage der Trivialdramatik. So muß der eifersüchtige Lord, der kaum ein Wort spricht, gleich auch wieder drauf aus sein, den Liebhaber zu retten. Wie? Saltomortale von Shaw: Dem Liebhaber wird Kalk eingegeben, von der Zimmerdecke heruntergeholt und von der in Wasser aufgelösten Büste der Gemahlin besorgt. Das genügt aber Shaw nicht, die Persiflage übersteigert sich, verliert ihren Bezug, der Liebhaber versteinert durch den Kalkgenuß und wird von Gatte und Gattin als Monument aufgestellt und verehrt. Dazu himmlische Klänge. Im übrigen kommentieren die Figuren stets, was sich ergibt, sprechen von sich in der dritten Person. Hat da Shaw unbewußt die Prad-ler Ritterspiele überboten? Aber vielleicht ist das gar keine Persiflage einer ansonsten nicht mehr bestehenden Trivialdramatik, vielleicht macht sich Shaw ganz einfach lustig über uns, falls wir uns diese „Tragödie“ ansehen?

Der meisterhafte Sprachequilibrist H. C. Artmann hat von seiner Methode des Dichters erklärt, er mache aus Trivialkitsch wieder Alchimie, er schände auf das Ordinärste und putze dann wieder auf das Herrlichste auf. Vom letzteren merkt man in dem angeblichen Gleichnis mit dem provokant sein sollenden Titel „Erlaubent, Schas, sehr heiß bitte!“, das im Anschluß an das Shaw-Stück gegeben wird, nicht vieL H. C. macht es sich manchmal recht einfach. Ein maßgeblicher Kritiker meinte, seine Hand schreibe weiter, wenn dem Kopf nichts Rechtes einfalle.

In einem Caf< sitzen anno 1995 ein Wiener und ein „süßes Madl“, das sich vergeblich ihm zu nähern versucht, der Wiener gibt mäßige Wiener Sottisen von sich, dann kommen ein Engel Sauber und der Teufel Pfui, deren Witzigkeit lediglich in ihren Namen besteht, und schließlich im Rollstuhl Adolphus Hitler. Strammer deutscher Gruß der Anwesenden. Warnung? Spott? Vorliebe für unangebrachte Schnörkel aus dem Handgelenk? Der Sinngehalt entsteht von selbst, erklärt H. C. Artmann. Von selbst? Nur, wenn das Stück darauf angelegt ist. Aber was kümmert das ihn!

Regie führte Helmut Wagner. Das erste Stück müßte schmissiger, karikaturistischer gespielt werden. Daß der junge Regisseur mit dem zweiten Stück nicht viel anzufangen weiß, &#9632;kann man ihm nicht verargen. Von den Darstellern seien Ina Pope, Hilde Günther, Adolf Bur und Emst Beinstein genannt.

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