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Digital In Arbeit

G. B. S.

19451960198020002020

Vorreden zu den Stücken von Bernard Shaw. Band II. Uebersetzt von Siegfried Trebitsch. Artemis-Verlag, Zürich und Suhrkamp-Verlag, Berlin. 779 Seiten

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Vorreden zu den Stücken von Bernard Shaw. Band II. Uebersetzt von Siegfried Trebitsch. Artemis-Verlag, Zürich und Suhrkamp-Verlag, Berlin. 779 Seiten

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Josef Hofmiller hat einmal von Shaw gesagt, er sei „viel zu gescheit für einen, sogar für mehrere Dichter… so gescheit, daß er seine intellektuellen Ueberzieher in der Garderobe seiner Vor- reden abgibt, damit sie ihm nicht im Weg umgehen, wenn er seinen intellektuellen Cutaway auszieht, um mit gestülpten Hemdärmeln als starker Mann den intellektuellen Bizeps spielen zu lassen" (Letzte Versuche). Nun hat man bei Shaw den Eindruck, daß er sich in diesem intellektuellen Cutaway besser ausnimmt als in Hemdärmeln, und man ist auf die Idee gekommen, bloß ihn — also die Vorreden — vorzuweisen, wobei man fast den Eindruck gewinnt, daß diese wichtiger seien als die Stücke. In diesen Vorreden stellt sich Shaw sozusagen vor den Vorhang, um vor der Aufführung eines seiner Stücke mit dem Publikum zuerst einmal das Grundsätzliche abzumachen. Hier geht es nicht um Witze oder — wenn auch nur scheinbare — Narreteien, sondern um sehr ernste Dinge. Hier stehen wir vor dem weitschauenden Moralisten und Sozialethiker Shaw, der in der Vorrede zu „Haus Herzenstod" die Bilanz der Zeit vor dem ersten Weltkrieg zieht; der in der Vorrede zu „Zurück zu Methusalem" das so komplizierte Problem der Evolution oder, genauer, der Evolutionslehren seiner Zeit durchdenkt. Die Vorrede zu „Festgefahren" befaßt sich in grundsätzlicher Weise mit dem Töten aus politischen Gründen und mit der diktatorischen Justiz. Die Worte, die dem Stück „Heiraten" vorangestellt sind, sagen Grundsätzliches über die Ehe als soziale Einrichtung. Und vor dem Stück „Die Millionärin" spricht er über das Problem der politischen „Führer" und über Hitler. Immer ist es eine in sich geschlossene große Frage seiner Zeit, die bis auf den Grund durchdacht werden soll. „Unsere heutige Zivilisation ist ein Betrug: wir sind eine Horde von Wilden, der man ein mühsam zusammengekoppeltes System von Vor schriften aufgezwungen hat, und zwar mittels Androhung gewisser Strafen im Falle von Zuwiderhandlung. Aber niemals werden uns diese Anordnungen erklär t." Shaw bekennt offen, daß man ihm den eigentlichen Sinn der Vorschriften des sozialen Lebens während seiner Kindheit niemals klargemacht habe, weshalb ihm denn der Rebell stets als eine Art Vorbild erschienen sei. Aber der Mensch steht im Dilemma zwischen Zivilisation und schöpferischer Evolution. Shaw meint, man müsse beide Sphären sorgfältig abgrenzen und sie koordinieren, anstatt sie gegeneinanderzuhetzen, wie dies tatsächlich auch heute noch geschieht. Shaw ist alles andere als ein Anarchist oder Nihilist. Er ist — und das macht seine große und isolierte Stellung aus — ein „intelligenter und unabhängiger Konservativer". Nur der Dummkopf will zerstören, eben weil er dumm ist. Er selbst will Beharrung und Wandel kombiniert wissen; das war schon im 19. Jahrhundert der Kernsatz des Konservativismus. Nichts liegt Shaw mehr am Herzen, als die Menschheit aus dem Abgrund des demoralisierenden Fatalismus zurückzureißen, in den sie die moderne Naturwissenschaft des 19- Jahrhunderts gestoßen hat, aus dem Abgrund völligen Ausgeliefertseins an die Gesetze der Vererbung und der anderen determinierenden Naturkräfte. Er lehrt die Hoffnung. Das ist groß an Shaw. „Und es ist noch besser, sich an das wurmstichigste, heidnischste alte Schöpferidol zu klammern, so teuflisch und rachsüchtig es auch sein mag, als aller Hoffnung zu entsagen, inmitten einer Welt von .zornigen Affen, und in Verzweiflung zugrunde zu gehen wie Shakespeares ,Timon von Athen . Goethe hat uns mit seinem ,ewig Weiblichen, das uns hinanzieht , von dieser Abscheulichkeit befreit, im ersten modernen Manifest von der geheimnisvollen Kraft, die die schöpferische Evolution ausströmt." Und Shaw erklärt, daß man seine Bücher ruhig ins

Feuer werfen möge, wenn nicht auch sie von dieser Kraft und Ueberwindung der Abscheulichkeit des deterministischen Fatalismus Zeugnis ablegten. Das sind ernste Fragen, und Shaw erscheint hier als gsoßer Rufer in der Zeit, der die Menschen wachrütteln und emporreißen will. Das ist eine kulturpolitische Aufgabe, die sich ein einsamer Moralist gestellt hat. Selbst wo er irrt, verdient Shaw gehört zu werden. Er ist aus dem großen Kapitel „experimentelle Ueberwindung des Nihilismus" im Rahmen der europäischen Kultur nicht wegzudenken.

G. B. Shaw. Briefwechsel mit seiner Freundin Stella Patrick Campell. Herausgegeben von Alan Dent. Verlag Wolfgang Krüger, Hamburg. 430 Seiten. Uebertragen von Hermann Stresau.

Diese Briefe umfassen die Jahre von 1899 bis 1939. Shaws Briefe sind in ihrem Witz und in ihrer Ironie echte Dokumente seines funkelnden Mutwillens. Es ist schlechterdings nicht möglich, diese verzwickte Ironie zu übertrumpfen, was doch eigentlich geboten erscheint, wenn man dieses Buch näher charakterisieren will. Man könnte mit gelehrter Miene behaupten, daß es ein „grundlegendes Dokument zur Bühnengeschichte der

Shawschen Dramen" darstellt. Das ist es auch sicher. Aber köstlicher und menschlich interessanter sind sicher gewisse Querschnitte, die man mit unfehlbarem Gewinn durch das Buch führen kann: so könnte man mit Lachen die Galerie aller Selbstporträts Shaws aneinanderreihen. Freilich hört der Spaß auf, wenn man die rein menschliche Beziehung beider Briefschreiber betrachtet: da steht man vor Kundgebungen zweier wirklich bedeutender, reifer und lange über ihre eigenen Illusionen hinausgewachsener Menschen, die sich zuerst „beruflich" und dann auch innerlich näherkommen und sich hochschätzen, verehren, lieben, „anbeten" — und dies alles in einer unerschöpflichen Vielfalt der Masken und Narreteien.

Univ.-Prof. Dr. Robert Mühlher

Das Gold der Jahrtausende. Geheimnis und Geschichte versunkener und vergrabener Schätze aller Erdteile. Von Gordon Cooper. Benziger Verlag, Einsiedeln. 272 Seiten.

Für den Mitteleuropäer, dessen kulturelle Anschauungen auf der humanistischen Bildung fußen, ist es erregend und in gewissem Sinne befremdend, sich mit einem angelsächsischen Autor zu befassen, für den die klassische Archäologie nur ein Kapitel in einer die Erdteile umspannenden Darstellung des Suchens und Findens bedeutet. Gordon Cooper macht in dem Buche „Das Gold der Jahrtausende" keinen essentiellen Unterschied zwischen, sagen wir, Mykene und einem gesunkenen Piratenschiff aus dem 17. Jahrhundert. Dennoch wird sein Bericht über verborgene und gehobene Schätze nie und nirgends zum Kriminalreißer. Das lockende Gold ist für ihn kein Objekt der Sensation. Vielmehr verbindet er in ansprechender Art vorzüglich fundiertes, sachliches Wissen mit der Leichtigkeit des Plauderers. So ist ein höchst originelles Werk entstanden, das sein prickelndes Thema mit den merkwürdigsten Variationen abwandelt. Es fehlt dem Buche auch nicht an psychologischem Tiefgang. Cooper bringt es tatsächlich zuwege, unser Mißtrauen gegen ein Nebeneinander von Archäologie, Schatzgräbertum und moderner Tauchtechnik beinahe zu überwinden. Er zwingt uns, Aspekte, die uns fremd sind, anzuerkennen und unserer humanistischen Einstellung eine gewisse globale Betrachtungsweise zuzugesellen. Dies wird ihm noch durch die pre- ziöse Ausstattung des Buches mit den eindrucksvollen Bildbeigaben beträchtlich erleichtert.

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