6576239-1950_45_06.jpg
Digital In Arbeit

Shaws Johanna

Werbung
Werbung
Werbung

Das Volkstheater bringt in einer sehr schönen Aufführung „Die heilige Johanna“ von Bernard Shaw. — Einsam steht dieses Werk im Schaffen des irischen Outsiders, wenn auch, wie stets bei seinen Stücken, genug Verbindungslinien zu anderen Arbeiten sich aufzeigen lassen. Kein anderes seiner Dramen ist so jugendfrisch, so unver-staubt, so gegenwartsnah — „aktuell“ ist schon eine Verzerrung. — Das Mädchen Johanna, ein blutjunger, glaubensfrischer Mensch, der zwischen die Räder der großen Weltpolitik gerät und von den Großmächten des Tages, „Kirche“, „Feudalismus“ und frühem Nationalismus, zerbrochen wird.

Gewisse katholische Kreise stoßen sich sehr an dieser Shawschen Johanna. Sie haben alle Gründe des Vordergrunds für sich: Shaws Johanna ist zwar noch nicht die „heilige Johanna der Schlachthöfe“, sie ist aber in keiner Weise die Heilige der Kirche; und doch, eine sonderbare Heilige — des „Protestantismus“, eines ungestümen Eigensinns, eine Ketzerheilige, wie sie etwa Nigg in seiner so problematischen Ketzerhistorie schildert. Shaw kommt den Anstoßnehmenden noch bereitwilligst entgegen: sein Arsenal abgeschmackter „aufgeklärter“ Begriffe fehlt auch hier nicht — wie so oft, zeigt er sich als ein Volksschullehrer, der in seiner Waldheimat in ständigem Streit mit dem Herrn Pfarrer liegt...

Lassen wir uns aber durch diese Mätzchen nicht täuschen. Nicht nur, weil dem gegenüber, was katholische Dichter (ein Bernanos etwa) in ihrer „Heiligen Johanna“ wider die Klerisei der Zeit gesagt haben, Shaw sich reichlich zahm ausnimmt. — Schon die großartige Szene, in der Peter Cauchon, Bischof von Beauvais, sich mit Richard von Beau-champ über die weltgeschichtlichen Folgen des vom Mädchen von Domremy entzündeten Nationalismus ausspricht, sollte zu denken geben. Shaw gelingt es nämlich, und das sollte uns wach werden lassen, auf seine Weise, die ungeheure, auch heute noch keineswegs gelöste Problematik um das Phänomen der Jeanne d'Arc sehr deutlich aufzuzeigen. Die Tatsache, daß die Kirche ein halbes Jahrtausend brauchte, um sich selbst über diese Persönlichkeit ganz klar zu werden, hat dodi sehr tiefe Gründe: von Jeanne d'Arc führt eben der Weg der Gefliehte nicht nur auf die Altäre, sondern auch auf die äußeren und inneren Schlachtfelder Europas, die der gottunmittelbare, extreme Individualismus und Nationalismus bereitet haben. Die in allen Farben der Ironie, Tragik und Menschlichkeit schillernde Johanna Shaws fesselt von der ersten bis zur letzten Szene. — Ein Verdienst, in der Aufführung des Volkstheaters, Inge Konradis, ihrer reifen und reinen Unmittelbarkeit. Ihr glaubt man das Mädchen, das unbeirrbar und unversehrt seinen Weg von den väterlichen Herden durch die Reimser Kathedrale zum Scheiterhaufen geht.

In der Scala: „Das Mädl aus der Vorstadt“ von Johann N e s t r o y. Ein selten gespielter Nestroy; wie viel er birgt, zeigt diese im großen und ganzen sehr geglückte Aufführung der Scala. Humor, als Naturprodukt eines leidenschaftlich die Gerechtigkeit suchenden Herzens. In diesem Sinne ist Nestroy, sehr auf seine Art, Nachfahre der Volksprediger des Barock, letzter Sproß nach Abraham a Sancta Clara. Die Schaubühne als moralische Anstalt. Wie vorzüglich versteht es dieser österreichische Klassiker, seine Proklamation von der notwendigen Verteidigung der Schwachen, Kleinen, Armen und Hilflosen, vom notwendigen Sieg des Guten in der Welt, einzukleiden in köstliche Gestalten! Nestroys Held, Schirmherr der Armen, Verteidiger der Enterbten und Betrogenen, ist naturgemäß kein herrscherlicher Feldherr, sondern — der Winkelagent Schno-ferl. Als „Retter“, in der erlauchten Tradition des Don Quichote, Urvater von Chestertons Father Brown. Die Sherlock Holmes, die Happy-. End-Detektive des Dreißiggroschenromans bezeugen noch diese edite Sehnsucht des „Volkes“ nach Wort und helfender Tat des „guten Mannes“ ... Volkstümlich-liedhaft, einfach, will dieses Mädl aus der Vorstadt gespielt sein, Marcel Rubins Musik versteht das, Paryla, als Regisseur und Bühnenbildner, nicht ganz. Etwas Gewalthaft-Fahriges, ein intellektualistisches Flimmern sprüht in seine Darbietung des Stücks hinein, zerstört jedoch glücklicherweise nicht die Substanz, die Harmonie des Spiels.

Die Josefstadt ehrt mit einer Fest-Vorstellung von Arthur Millers „Der Tod des Handlungsreisenden“ E.r n s t Lothar. Nicht oft in der Theatergeschichte wird sich ein so geschlossener Zusammenhang von Intimstem, Persönlichem und objektiv Gegenständlichem feststellen lassen wie bei dieser Festaufführung. Adrienne Geßner, die Gattin des Geehrten, die Frau, die ihm in den Jahren der schweren Anfänge in Amerika zur Seite stand, spielt hier also jene Frau des Handlungsreisenden, die mit diesem ausharrt bis zum letzten. Ernst Lothar selbst, einer der letzten aus der Schule und nächsten Umgebung Reinhardts, las am Vorabend dieser Feier seines sechzigsten Geburtstages im Pen-Club aas erste Kapitel seines neuen Romans „Verwandlung durch Liebe“. Das Thema unserer Zeit. F. Heer

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung