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Die „Jeanne“ des Maxwell Anderson

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Das Gastspiel von Hilde Krahl und Wolfgang Liebeneiner in der Josefstadt ist zu einem großen Erfolg für das in Wien wohlbekannte Schauspielerpaar geworden. Als Stück wählten sie Johanna von Lothringen“ von M a x-well Anderson, ii der Bearbeitung und Regie Walter Firners. So muß es schlicht heißen: Einige hochbegabte Schauspieler haben sich Jeanne d'Arc gewählt zur Bezeigung ihrer Künste, nachdem zuvor ein begabter Autor die Gestalt der Heiligen auf jenes Maß zurt-chtgeschnitten hat, das es erlaubt, gleichzeitig eine psychologische Studie, eine Story unter Schauspielern und ein gesellschaftliches Gespräch mit einigen Tips über Glaube und Unglaube zu geben. Diese Anmaßung will so viel, daß inhaltlich nur wenig .dabei herauskommen kann. Schade. Die Chancen Mister Andersons waren nicht gering: Er stellt sein Stück als eine Bühnenprobe dar, konfrontiert also, wie vor dreißig Jahren Piran-dello und andere im alten Europa, die Schauspieler mit ihren Rollen. Welch eine herrliche Gelegenheit, den sogenannten „modernen“ Menschen zu befragen von der Heiligen des Mittelalters her, und die Heilige zu befragen vom, ach oft wie engen, simplen Gesichtswinkel des „neuen Menschen“, wie er in unseren Tagen treppauf, treppab läuft. Die Realitäten des heutigen Menschen und die Wirklichkeit des Heiligen, die Gestrigkeiten unserer typenhaft genormten Individuen und die Persönlichkeit und Gegenwartskraft der Heiligen — welche Möglichkeit eines Kreuzfeuers, in dem bald der heutige, bald der ewige Mensch sichtbar hätte werden können. Welche Möglichkeiten für einen Autor, der mit der Muttermilch oder seiner Lebenserfahrung mehr in sich eingesogen hätte als einige freundlich wohlwollende Bemerkungen über Menschen, die der Stimme ihres Gewissens bis in den Tod gehorsam, und die zu entschuldigen sind, wenn auch sie „Kompromisse“ machen, um ihr „hohes Ziel“ wenigstens annähernd zu erreichen. Dreimal schade um die großen inneren Möglichkeiten in der Konzeption dieses Stückes! Der Rest darf nicht mehr wundernehmen: Die Story, hier von dem Mädchen aus Domremy, die Story von der Schauspielerin Mary Grey, die ihre Rolle wegwerfen will, weil sie nicht verstehen kann, daß der Autor im Laufe des Schreibens die Heilige immer mehr vermenschlicht. Ein guter Gedanke, wie banal wird er aber hier exemplifiziert: Miß Grey zerbricht sich den Kopf und (beinahe) auch das Herz, weil die Jeanne d'Arc des Herrn Anderson sich herbeiläßt, einen Kronprinzen zum König und Statthalter Gottes in Frankreich krönen zu lassen, der sehr wenig königlich lebt. Der Konflikt eines puritanischen Gewissens und einer Geschichtsschau, die immer noch an der alten Schablone der Moralitäten klebt...

Woher aber kommt es nun, daß dieses Schauspiel fast ergreift? Das es unleugbar starke Momente besitzt, daß seine Aufführung unbedingt als ein Verdienst der Josefstadt verbucht werden muß, daß, nicht zuletzt, einer sensitiven Künstlerin wie Hilde Krahl, die Möglichkeit geboten wird, doch im Zusammenhang des Stückes und sogar des Textes eine Gestalt auf die Bretter zu stellen, die im Fortschritt des Abends immer mehr packt, fasziniert? Wie erklärt sich der Erfolg der Premiere wie des ganzen Gastspiels? Zum einen sicher aus der Arbeit der Darsteller: Neben dem Gastpaar läuft Leopold Rudolf als verkommener Dauphin zu großartiger Intensität auf, das Ensemble assistiert prächtig. Zum anderen aus einem Angelpunkt des Stückes, der Anderson zugute geschrieben werden muß; er meint es, auf seine Weise und mit seinem Begriffsvermögen, durchaus ehrlich mit seiner Heiligen; er stellt sie ganz als Mensch dar, sie ist bei ihm keine Puppe aus einem Devotionalienladen und auch nicht einlach, wie bei anderen Autoren, ein Mannequin zur Erprobung eigener Gedanken über Gott, Welt, das liehe Ich. Nein. Anderson meint es ehrlicher als manche andere: Seine Jeanne ist ein Mensch, irgendwie wie alle anderen auch, ist aber ein Mensch mit einer echten Ueberzeugung und Glaubenskraft. Daß diese nur „idealistisch“ verstanden wird, geht auf das Konto der begrenzten Innenwelt des Autors. Diese seine Enge ist aber nun gepaart mit seiner primitiven, frischen Ehrlichkeit. Er liebt seine Jeanne und versteht es, diese Liebe auf das Publikum zu übertragen. Vorausgesetzt, daß er erstrangige Schauspielerinnen zur Verfügung hat.

Das Publikum ist hoch befriedigt. Es hat hier eine „Heilige“, an der alles verständlich ist, es erfährt, von der Bühne herab, alles, was es schon „weiß“, was es glaubt und nicht glaubt. Und erlebt, in einer glänzenden Aufführung, das prekäre Wunder der Schauspielkunst: aus einigem Schein, aus einigen Gesten und Redensarten, ist das Sein hervorzuzaubern. Man versteht, daß der Film sich dieses Stück nicht entgehen lassen konnte .. .

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