6593735-1952_43_11.jpg
Digital In Arbeit

Von der äußersten Verlassenheit

19451960198020002020

Großer Jeanne-d’Arc-Film mit Ingrid Bergman

19451960198020002020

Großer Jeanne-d’Arc-Film mit Ingrid Bergman

Werbung
Werbung
Werbung

Schillers gefährliche Umdeutung des eigentlich Tragischen im Leben und Tod der Jeanne d’Arc in einen romantischen Liebesschuldkon- flikt ist uns Heutigen unendlich ferngerückt: nicht nur, weil wir mit dem besseren Wissen ausgerüstet sind: mit den seit Jahren nun auch deutsch edierten Prozeßakten, mit den geschichtlichen Darstellungen Quicherats, Miche- lets, Le Bruns, mit den dichterischen Deutungen Shaw6, Péguys, Claudel , Maulnier , mit den musikalischen Nachempfindungen von Verdi bis Bonegger; sondern mehr noch, weil wir in den Jahren qualvollster innerer und äußerer Résistancen hellhöriger geworden sind für Schauprozesse und für die menschliche Tragik, das Reine und Wahre in uns gegen erdrückende Mächte und Autoritäten auf dieser Erde vertreten zu müssen. In diesem Kampfe des unbedingten Glaubens gegen irdische Maßstäbe konnte, was sterblich war an dem Hirtenmädchen von Domrémy, am 31. Mai 1431 in Rouen in Flammen aufgehen, bis in unsere Tage aber blieb ihr letzter waffenloser Gang vom Schlachtfeld in den Kerker und auf den Scheiterhaufen ein Vorbild des Sieges im scheinbaren Untergang, des Lebens und Bestehens im Tode. Auf dem Wege dahin stehen freilich die Kreuzwegstationen einer grenzenlosen Einsamkeit, in der sich das einfache Bauernmädchen zeitweise in den verwirrend- sten Gegensatz zu Vater und Bruder, zu gewiegten Armeeführern und dem trotz seiner erbärmlichen menschlichen Niedrigkeit vom Gottesgnadentum gezeichneten Dauphin, schließlich zu höchsten kirchlichen und politischen Autoritäten, und in wenigen Augenblicken des Zweifels wohl auch zu sich selber gestellt sah.

Es bedeutet das höchste Lob für den amerikanischen Farbfilm der RKO „Johanna von Orléans“ (nach einem Bühnendrama von Maxwell Anderson, Regie Viktor Fleming, Johanna: Ingrid Bergman, Uraufführung 11. November 1948 in New York, Wiener Erstaufführung am 24. Oktober 1952 im Künstlerhaus, daß er eben dieses Drama der äußersten Verlassenheit in jedem Augenblick sichtbar werden läßt. Ohne dem Jeanne-d’Arc-Bild neue, originelle Züge anzufügen, führt er damit unauffällig von den letzten Aus- und Umdeutungen (1935: Gustav Ucickys sehr strammes deutsches „Mädchen Johanna’ und 1929: des Dänen Carl Dreypr einseitig-groß-

artiger Prozeß-Köpfe-Spuk der „Passion der Jeanne dArc“) wieder zu einer schüchteren, historisch getreueren und zugleich modernen empfundenen Auffassung zurück. Er entwirft, im großen und in Details glänzend beraten von historischer und geistlicher (P. Paul Docour S. J.) Seite, mit den Mitteln neuzeitlicher Massenregie und Farbfilmtechnik ein berückendes Prunkgemälde der Zeit, das in den grellen Feuerschlünden und den blutigen Horizonten der Schlacht um da6 Hauptfort von Orleans und in der ergreifend komponierten Szene des Feuertodes 6eine äußeren

Höhepunkte hat. Einige Schwächen in Aufbau, Tempo und Schnitt sowie die unscharfe Profilierung wesentlicher Rollen können dem gewaltigen Gesamteindruck nicht Abbruch tun.

Die stärkste Wirkung geht von Ingrid Bergmans Johanna aus. Die Rolle der Jeanne d’Arc gilt seit eineinhalb Jahrhunderten als Feuerprobe höchster schauspielerischer Bewährung. Im Film, dessen Jeanne-d’Arc- Tradition von Georges Meli£6 (1900) über Pathe (1903), Gastine (1913), Cecile de Mille (1917) bis zu den erwähnten Dreyer und Ucioky reicht, sind Simone Genevoix, die Swanson, die Bow und Angela Salloker unvergessen. In dieser ruhmreichen Geschichte nimmt nunmehr Ingrid Bergman einen höchst ehrenvollen Platz ein. Ihre Johanna ist vielleicht nicht ganz das tumbe Mädchen der Geschichte, das nicht lesen und schreiben konnte, und mit einer Art ekstatischer Verzücktheit von ihren Visionen berichtete: die Johanna der Bergman ist ein etilles, einsames Mädchen, von Herz und Verstand, das die „Stimmen“ mit leiser Trauer und Angst len, ohne der Gefahr einer drohenden Gleichartigkeit des Ausdrucks zu verfallen. Sein großer warmer Ton profilierte vielmehr das Mozartsche Bild immer klarer und lebendiger: es war der olympische Wolf gang, für den das Publikum dem Namensbruder dankte, obwohl das Orchester der Symphoniker (unter Prohaska), brav und treu wie immer, diesmal aber nicht ganz olympisch musizierte.

Problematischer war das Wagni6 der Tonkünstler, Beethovens „Misea solemnis“ aufzuführen, so knapp nach der Meisteraufführung unter Anton Heiller, daß Vergleiche nicht zu vermeiden waren. Indes 6ang der Tonkünstlerchor 6ehr diszipliniert und gekonnt — man kann auch hier sagen: wie immer —, während das Soli6tenquartett unsicher wie auf einem Schwebebalken blieb und das Orchester der allzu reichlichen Gestik des Dirigenten Dr. Koslik manche Ungenauigkeit zuschreiben darf. Man hatte das Gefühl, ein weniger überdimensionales Werk wäre für Ausführend und Zuhörer mehr gewesen.

Völlige Einheit zwischen Werk und Wiedergabe erreichte dagegen das Wiener Konzerthausquartett in Franz Schmidts Streichquartett A-dur und Schuberts Forellenquintett mit Edith Farnady am Klavier. Es war vollendete Kunst, die beiden liebenswürdigsten und unbeschwertesten Werke österreichischer Kammermusik von allem Erdenstaub zu befreien und das eine gleichsam in Licht, das andere in Natur und Landschaft aufzulösen.

Hane Duhan mit seiner immer noch prächtigen Stimme, deren Glanz trotz gelegentlicher Sprödigkeit ohne Fehl ist, sang vor der Schwere ihres Auftrages hört-, in die Schlacht rast 6ie nicht wie eine haßerfüllte Amazone, sondern starrt wie zur Rechtfertigung auf das weiße Banner oder in den blutig bewölkten Himmel, und in der Kampfpause beweint sie die Toten nicht nur der eigenen Armee, sondern auch des Gegners. Keine forcierte Geste, kein hysterischer Schrei (die deutsche Synchronstimme fügt sich spürbar dieser außerordentlichen Disziplin des Originals), auch nicht das kleinste Starmätzchen entstellt diese makellose Leistung. Ihr gebührt die Krone unter den Jeanne- dÄrc-Dar6tellungen der Filmchronik.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung