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Anouilhs Jeanne

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Das Akademiethea ter’ als Schauplatz einer glanzvollen Premiere: „D i e L e r c h e"

von Jean Anouilh. So sieht der Dichter. Anouilh die Lerche: ein unscheinbarer Vogel, der sich in den silberblauen Himmel Lothringens erhebt, hoch über die grünen Hügel des Sommers, über die grauen Felder des Herbstes. Einen Herzschlag lang sieht er dann vor sich die Lerche, geschlagen, gehängt, gebunden in einer Schlinge, feilgeboten jedem Käufer, bestimmt für vornehme Genießer, in der Rue de Seine. Schon aber steigt sie wieder empor, aus tausend Toden, in den Himmel Frankreichs, über tausend Sterne; die Lerche, die graue, unscheinbare Kreatur, voll überschäumender Lebensfreude, ein gültiges Urbild des singenden, leidenden, mit Mutterwitz reich gesegneten menu peuple, des „Volkes von Frankreich", das der große Sohn der Korbflechterin von Orléans, Charles Péguy, verkörpert sah im Leiden der unschuldigen Kinder von Bethlehem, die einen ewigen Gesang der Freude singen rund um das Lamm. — Es wäre reizvoll, Péguys Hymnen auf die Jungfrau von Orléans zu vergleichen mit Anouilhs „Lerche". Jeanne ist ja diese Lerche. Das Mädchen Jeanne aus Domremy, deren Worte im Text der Originalakten des Prozesses oft noch klingen wie ein Lied im Volkston: „Als ich nach Frankreich kam " — Anouilh verschmilzt Töne eines Volksliedes mit dramaturgischen Elementen, die ihm seine reiche Erfahrung als Bühnenautor zur Verfügung stellt, mit Reflexionen, die seine Kenntnis wohl aller neueren Jeanne-d’Arc-Dramen seit Shaw verraten. Sein großes technisches Können und seine hochgradige Sensibilität (die in glücklichen Augenblicken in Spiritualität überzugehen scheint) verbinden diese heterogenen Dinge, weben geschickt einen Tèppich, aus dessen bunten Motiven, Rand- und Hauptfiguren stark und leuchtend, das Leitmotiv durchschlägt: die Mär von der „Lerche", vom ewigen Leben eines jungen Mädchens aus dem Volke, das durch alle Versuchungen, Bedrängnisse, Tode in die Weltgeschichte einzieht, weil es vom Scheitel seines Dickschädels bis zur nackten Fußsohle eins ist: ein Urvertrauen in den letzthin guten Sinn alles dessen, was ihr da zukommt. Jeanne hat Angst, wie sie selbst sagt. Das aber ist die Angst eines derbsicheren, starken Bauernmädchens, das patschnaß wird in einem Gewitter; wenn es vorbei ist, mäht es weiter. Inge Konradi gelingt-ès, dieses Wesen aus einem Guß und seine Strahl— kraft prächtig auf die Bühne zu stellen — neben ihr gibt es nur „Rollen", weltgeschichtlich inter-

essante Rollen, wie den spanischen Großinquisitor (den Anouilh erfindet, vielleicht in Anspielung an Gegenwartsereignisse in Paris), den Dauphin, den Erzbischof, den Vertreter Englands, Anouilh stattet diese Rollen glänzend aus, diese Repräsentanten der „Idee", der weltlichen und geistlichen Macht, die Buhlschaft und selbst noch die stumme Königin. Leben, ganzes, volles heißes Leben besitzt jedoch nur die „Lerche", sie allein, weil sie alfes zu geben wagt, während alle anderen sich selbst behalten und bewahren wollen. Es hat deshalb seinen guten Sinn, daß Anouilh nach dem Sterben Jeanfles auf dem Scheiterhaufen in der Schlußszene die .Krönung in Reims zeigt. Jeanne steht auf . einem Podest hoch über’ der Krönung s s z e n e, diese ist nur Rahmen für ihre Apotheose: sie, das Mädchen, ist das ewige

Frankreich, das Volk von Frankreich, wie es Delacroix im Louvre-Bild malte, als junges Weib, die Revolution anführend, wie es das Denkmal für die Resistancehelden in Paris zeigt. — Regie (Ernst Lothar), Aufführung, Spiel sind hervorragend, alle Schauspieler müßten genannt werden, so sorgfältig ist die Besetzung jeder Rolle. Das Publikum ging fasziniert mit.

Als ein nettes, harmloses, anspruchsloses amerikanisches Neu-Biedermeierstück entpuppte sich „Sabrina” in den Kammerspielen. Unschuldig trägt die Titelheldin (scharmant Hannelore Schroth) ihren Namen, den der Autor einer Hymne des großen Puritaners John Milton entlehnt hat. Die Deklamierung eines Teiles dieses Poems bleibt denn auch die poetische Stelle dieses Sprechstückes. Adrienne Gessner und das bewährte und erneuerte Ensemble der Josefstadt bemühen sich sehr, dem kleinen Ding, diesem Komödchen, ein ansprechendes Gesicht zu geben.

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