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Majestäten aus Berlin

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Jean Anouilh versteht es, Stücke zu schreiben. Er hat seit 30 Jahren Erfolg, und er bildet sich was darauf ein. „Sollte mir in der Literatur etwas schiefgehen“, schrieb er einmal, „träumte ich immer davon, wenigstens ein guter Handwerker zu sein wie mein Vatei.“ Dieser Vater war Zuschneider, „ein feiner, einfacher Mann, der sich auf sein Gewerbe wundervoll verstand“. Nun, ein einfacher Mann ist Anouilh nicht, sondern ein recht komplizierter, vielschichtiger, in allen Farben der Zeit schillernder Schriftsteller. Seine Lehrmeister waren Giraudoux und Pirandello, von den Alteren Moliėre und Marivaux. Moralischen Werten gegenüber ist Anouilh skeptisch, und sein koketter Pessimismus ist nicht ohne Selbstgefälligkeit. In „M a j e s t ä t e n“ unternimmt er es, Napoleon zu „entzaubern“ und Ludwig XVIII. zu rehabilitieren. Die welthistorischen „100 Tage“ sind für Anouilh nur ein Szenenwechsel. Die Konstante ist Fouchė, der egoistische und brutale Polizeiminister, auf dessen Dienste beide angewiesen Sind. Und der jugendliche Idealist d’Assonville, ein natürlicher Sohn Fouchės und glühender Bewunderer Napoleons, nimmt am Schluß die Belehrung an: „Erzählen Sie Ihren Kindern nicht zu viel von Idealen. Das ist kein Gepäck fürs Leben. Es ist besser, zu heiraten und Kinder zu haben …“

Das unterhaltsame, fast ausschließlich aus pointierten Dialogen bestehende, nicht gerade gewichtige Stück wird von einem Ensemble des Berliner Renaissance-Theaters in der Josef- Stadt gespielt, wo es allabendlich bis zum Ende des Monats August gegeben wird. Die beiden Hauptpersonen (und Gegenspieler), Napoleon und Ludwig XVIII., werden — das ist der eigentliche Witz der Sache — vom gleichen Schauspieler dargestellt. Der Protagonist des Berliner Ensembles ist O. E. Hasse, ein sehr sympathischer und virtuoser Künstler, voller Geist und Bonhomie, dem der joviale Ludwig besser gelingt als der dämonische Korse. Ein vorzüglicher

Schauspieler, freilich kein geborener Bösewicht, ist auch Peter Mosbacher, der Darsteller Fouchės. Dagegen hat der jugendliche Held Gundolf Wilier in dem jungen, feurigen d’Assonville eine Rolle gefunden, die ihm auf den Leib geschrieben scheint. Willi Schmidt ist dei Spielleiter, der sich gleich zu Beginn mil einer etwa 15 Minuten dauernden, dem Stück Anouilhs vorangestellten Pantomime präsentiert, in der der Hauptakteur in Zivil sich die passenden Kostüme aus wählt. Der flotten, zum Teil brillanten Regie entsprechen die luftigen, zweckmäßigen und praktikablen Bühnenbilder (gleichfalls von Willi Schmidt) sowie die geistvoll-witzige Begleitmusik Herbert

Baumanns, in welcher eine Klarinette i und ein Cembalo den Ton angeben. Als s Kuriosum sei vermerkt, daß das Neun- i Personenstück des französischen Autors s keine einzige weibliche Rolle enthält. — J Das Premierenpublikum zeigte sich recht 1 animiert und bereitete den Berliner Gästen t einen sehr freundlichen Empfang.

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