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Glorie und Zwielicht

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Die Heiligsprechung Johannas aus Domremy nach dem ersten Weltkrieg ließ nicht nur die Chronik von Shaw und das Bühnenwerk von Claudel entstehen, die beide das erstaunliche Leben dieses Mädchens vorführen; 25 Jahre nach Shaw, schrieb auch noch Jean Anouilh das Schauspiel „Jeanne oder Die Lerche“, mit dessen Aufführung das Theater in der Josefstadt die neue Spielzeit begann.

Worin sich im besonderen die Stücke von Shaw und Anouilh unterscheiden, wirkt kennzeichnend für unsere Zeit.

Der Aufstieg ohnegleichen — laut Anouilh wie eine Lerche —, die jugendliche Frische, Herzensreinheit und Glaubensinibrunst Johannas beeindrucken im Rückblick so sehr, daß die heutigen Menschen das schaurige Ende nicht recht wahrhaben wollen. So beließ schon Shaw seine Chronik nicht beim Verbrennungstod, sondern fügte einen Epilog hinzu, in dem Johanna wieder auf tritt. Anouilh dagegen eskamotiert den Tod überhaupt. Nach der Gefangennahme durch die Engländer werden die entscheidenden Stationen aus dem Leben Johannas in Form einer szenischen Chronik vor dem geistlichen Gericht in Rouen aufgeführt, Cauchon läßt sie aber vom Scheiterhaufen holen, da die Krönung des Königs zu spielen vergessen wurde. Diese Szene wird nun nachträglich vorgeführt und damit schließt das Stück, denn „das wahre Ende der Geschichte Jeannes ist fröhlich“.

Den tragischen Gehalt dieses Lebens will Anouilh merkbar nicht sehen. Er mag sich darauf berufen, daß der heutige Mensch im Zeitalter gehäufter Tragödien das Tragische im Theater kaum noch zu erleben fähig ist. Auch die Dimension des „Heiligen“, das in Shaws Stück nicht nur im Titel aufscheint, ist Anouilh fremd. Er bietet reines Bühnengeschehen, das als Wirklichkeit einst gar nicht möglich war, da sich weder der König, noch die anderen Gestalten zu diesem Spiel vor dem geistlichen Gericht hergegeben hätten. Damit nahm Anouilh vorweg, was Max Frisch und Martin Walser in unseren Tagen von der Bühne for-

Leben Johannas als Spiel im Spiel vorgeführt wird, bestimmt das Spielerische dieses Stücks,.es zeigt sich in der gesamten geistigen Haltung, in der Relativierung der Prinzipien und Mächte, in der ironischen Bloßlegung mesquiner Machenschaften, in den geistreichen Aperęus. Wirkt Shaws Chronik zweifellos gewichtiger, so hat Anouilhs Stück doch erhebliche Vorzüge, es ist daher bedauerlich, daß Werner Kraut als Regisseur eine arg unterdurchschnittliche, völlig unprofilierte Aufführung bietet, in der verdiente Darsteller nicht ihr sonstiges Maß erreichen. Sabine Sinjen fehlt die Dimension für das weltgeschichtlich Einmalige der Johanna. Hans Holt als Cauchon, Nikolaus Paryla als Charles, Jochen Brockmann als Baudricourt setzen lediglich ihre ge

wohnte Eigenart ein, Carl Bosse als Inquisitor und Guido Wieland als Ankläger dagegen erweisen in ihrer Darstellung neue Nuancen. Klaus Wildbolz wirkt als Warwick dilettantisch. Monika Zallinger verwendet für das schlichte Bühnenbild Projektionen.

Es laufen auf diesem Erdenrund heute wohl sehr viele Menschen herum, die Morde auf dem Gewissen haben und seelenruhig weiterleben wie Anders Franzi, der verflucht hübsche Kerl aus der Vorstadt in dem Schauspiel „Peripherie" von Frantisek Langer, das nun zu Saisonbeginn im Valkstheater zur Aufführung gelangt. Das Stück ist 43 Jahre alt. Franzi erschlägt den Baumeister Urban, einen widerlichen Sonderling, als er ihn bei seiner Freundin Anna, einer Gunstgewerb- lerin, antrifft. Es gelingt ihm, die Tat zu verheimlichen, niemand tippt auf ihn als Täter, aber der Totschlag läßt ihm keine Ruhe, er will die Erinnerung daran loswerden, indem er darüber spricht. So nun bezichtigt er sich selbst, aber niemand glaubt ihm, auch der Polizeikommissar nicht.

Wer Schuld als Schuld fühlt, bedarf der Entlastung, das wird hier ohne große Worte gezeigt. Der Beichte aber — etine „ausgezeichnete Erfindung“ — ging Franzi schon als Schuljunge aus dem Weg. Wie löst nun Frantisek Langer diese Schuldverstrickung? Ein verkommener ehemaliger Richter, dem die Justizmaschinerie als unpersönlich verhaßt wurde, verurteilt Franzi dazu, Anna hinfort mit jener Liebe zu lieben, „für die der Mensch fähig ist, einen Mord zu begehen“ und so nachträglich die Ursache für die Untat zu schaffen. Seltsames Stückende! Eine reichlich abwegige Auffassung wird als Gerechtigkeit glorifiziert: Aber Totschlag bleibt Totschlag, die Liebe zu Anna löscht die Schuld nicht.

Gewiß kommt dieser schiefe Schluß letztlich aus humanem Ver- zeihenwollen, aus einer Wärme, die das ganze Stück füllt, einer Wärme, deren ein heutiger Autor kaum mehr fähig ist. Frantisek Langer versuchte diese vortrefflich gezeichneten Men- , ls „liebeqsweft darzustellen, uf jeden .Fall ggijngt es .ihm zu sehr 'die' Welt auch am Rande großer Städte ihren Reiz, ja einen eigentümlichen Charme besitzen kann. In der vorzüglichen Aufführung unter der Regie von Oskar Willner, der das Stück auch neu übersetzt hat, ersteht durch die Darstellung wie durch die Bühnenbilder von Maxi Tschunko überzeugend der Eindruck: Peripherie. Heinz Petters glaubt man das Unbekümmerte des Franzi ebenso wie seine spätere Gewissensregung, Dolores Schmidinger bietet als Anna eine Mischung aus sexueller Bin- dungslosigkeit und echtem Gefühl. Egon Jordan gibt dem Richter sku- rille Versponnenheit, Rudolf Strobl zeichnet einen der Freunde Franzis als prächtigen Vorstadttyp. Guter Spielzeitbeginn im Volkstheater.

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