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Ende und Anfang

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Die Mysterienspiele des Mittelalters enthielten neben der Bekundung tiefer Religiosität immer wieder komödienhafte, ja possenhafte Züge. Der religiöse Gehalt steigerte sich am Gegensatz, Nun hat der Italiener Dario Fo ein „Mistero Buffo“ geschrieben, das diese Art der Spiele erneuert, aber politischen Zielen dienstbar macht. Es wurde in französischer Sprache von der Brüsseler ;,Internationale Nieuwe Scene“ als letzte Veranstaltung der „Arena 74“ im Theater im Künstlcrhaus vorgeführt.

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Die Mysterienspiele des Mittelalters enthielten neben der Bekundung tiefer Religiosität immer wieder komödienhafte, ja possenhafte Züge. Der religiöse Gehalt steigerte sich am Gegensatz, Nun hat der Italiener Dario Fo ein „Mistero Buffo“ geschrieben, das diese Art der Spiele erneuert, aber politischen Zielen dienstbar macht. Es wurde in französischer Sprache von der Brüsseler ;,Internationale Nieuwe Scene“ als letzte Veranstaltung der „Arena 74“ im Theater im Künstlcrhaus vorgeführt.

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Das sind lose Szenen, durch Lieder verbunden, vom bethlehemiti-schen Kindermord bis zur Kreuzigung. Dabei wird Jesus zutiefst bejaht, die Szenen bei. der Kreuzaufrichtung und dann mit Maria ergreifen. Dario Fo faßt Christus als Sozialrevolutionär auf, als Anwalt der Unterdrückten, Mißhandelten, Ausgebeuteten, dessen Botschaft verfälscht wurde. Das geht so weit, daß er in einem erfundenen Gespräch mit einer der Figuren, einem Possenreißer, sagt, er möge den Mut haben, die „Herren, die die Gesetze machen“, aufzuspießen. Pervertierung: Jesus fordert zur Gewalt auf!

Das Mysterium mündet in den Aufruf, die Macht zu erkämpfen. Die Begründung hiefür gibt es gleich anfangs: Von einem Arbeiter heißt es, er könne von seinem Verdienst noch

nicht ein Brot bezahlen. Dario Fo bezieht den Impuls für seine in vieler Beziehung großartige Szenenfolge aus einer empörenden, aber bei uns nicht bestehenden Situation. Man muß gedanklich auf andere Länder umschalten. Blasphemisches, Antikirchliches vereint sich mit echter Religiosität. Gestaltet sind diese Szenen aus der Vorstellungskraft des Volkes, auch da kommen die Anregungen aus früheren Jahrhunderten.

Dario Fo spielte in Italien die Szenen im Alleingang, gab also verbal alle Rollen wieder. Die Brüsseler Truppe wendet dafür unter der überaus phantasiereichen Regie von Arturo Corso 19 Mitwirkende auf, darunter drei Musiker. Es wird immer wieder gesungen. Lange Stangen dienen als Lanzen, als Arbeits-

gerät, werden zu einem Galgen zusammengefügt. Es gibt Stühle, Tische, Aufbauten von Tischen, nichts sonst. Die Bewegungsvorgänge sind von einer Vielfalt und Präzision, die diese Wiedergabe als Spitzenleistung ausweist. Begreiflich, daß sie in Belgien, Holland und Frankreich von 130.000 Zuschauern gesehen wurde.

Das Ensemble Theater im Kärntnertor brachte noch während der Festwochen das Stück „Der Vierer“ des Engländers E. A. Whitehefid heraus. Es führt, dem englischen Titel nach, „irgendwelche“ Vier, zwei Burschen und zwei Mädchen, vor, die ihre Freizeit dn den Dünen verbringen. Was wird gezeigt? Lauernde Sinnlichkeit, Spannungen des Sex führen zu Aggressionen, die sich die Mädchen gefallen lassen. Entsprechendes Vokabular. Das ist ein platter Abklatsch dessen, was sich genau so begeben kann. Sand und Gräser sind auf der Bühne wirklich, die Darsteller aber spielen unter der Regie von Dieter Haspel Wirklichkeit samt aller ödnis und Langeweile, es ist nicht die wirkliche Wirklichkeit der Düne. Daher: Wozu? Verzicht auf Parabelhaftes, auf gestaltende Interpretation des Wirklichen, auf Verdichtung. Mit derlei Text gäbe es nur noch die Pleite des Theaters.

*

Die Festspiele außerhalb Wiens beginnen. Da ordnet sich nun auch Krems ein, wo es ein reguläres Theaterleben seit einem halben Jahrhundert nicht mehr gibt. Die Wiener ..Werkstatt“ spielt da unter der Leitung und Regie von Hans Gr atzer das neueste Stück des Engländers James Saunders, eine Dramatisierung der Novelle „Michael Kohlhaas“ von Heinrich von Kleist, wobei Hilde Spiel die treffliche deutsche Fassung herstellte. Ort: eine gestufte Tribüne zwischen Gozzos ehemaliger Stadtburg aus dem 13. Jahrhundert und der zweiten Stadtburg.

Der Reiz der Novelle, das Geschmiedete des Ineinanders von Erzähltem und Dialogischem, geht bei der Dramatisierung zwangläufig verloren, doch Saunders hält sich eng an Kleist, er schiebt zwischen die einzelnen Szenen einen Erzähler, ja auch andere Gestalten wenden sich immer wieder erzählend an die Zuschauer. Die Parabel von der Gerechtigkeit kommt wirksam heraus. Der Roßhändler Kohlhaas, dem die Wiedergutmachung eines Schadens, den er durch den frechen Übergriff eines Junkers erlitten hat, verweigert wird, übertritt nun durch Mordbrennereien, bei aller berechtigten Empörung, die Grenzen der Vergeltung. Der nach Gerechtigkeit schreit, wird selbst ungerecht. Was wir im Stück sehen, sind aber nicht die Untaten des Kohlhaas, wir sehen vor allem das Schwanken der Gerechtigkeitswaage.

Für die Aufführung ist bei Regenwetter der Stadtsaal vorgesehen, wc das Stück in anderer Inszenierung nur andeutend in historischen Kostümen zur Wiedergabe gelangt. Dennoch wurde trotz Regen die Pre-

miere im Freien abgehalten. Von einem tiefer gelegenen Platz fand der Aufmarsch mit Reitern, mit einem Wagen, den Darstellern im Kostüm und dem Publikum statt. Und dann sah man von der steil ansteigenden Zuschauertribüne anfangs und auch gegen Schluß bei rauschendem Regen über die aufgespannten Schirme des Publikums hinweg auf die Agierenden.

Unter Gratzers Regie kommen die Vorgänge im Über- und Nebeneinander auf der abgetreppten Tribüne — Ausstattung Peter Giljum — vortrefflich heraus, das Zueinander der

Figuren wird optisch umgesetzt. Der TV-Trenck Matthias Habich ist als Kohlhaas ein rechter jugendlicher Held mit einer etwas an Reincke gemahnenden Stimme, den Roßhändler allerdings glaubt man ihm nicht. Krista Stadler gibt schlicht seina Frau. Der Junker wird von Fritz Gobiirsch viel zu sehr ins Komische verlagert. Dagegen charakterisiert Götz Kauffmann gut sowohl den Kurfürsten von Sachsen wie den von Brandenburg. Die übrigen Mitwirkenden fügen sich ebenfalls gut dem Gesamtkonzept ein.

Karl Maria Grimme

Wer ist Dario Fo?

vozieren. Doch erklärt er, nicht Agitprop zu machen, sondern Theater. Wer sich aber an seinem Theaterspiel ergötze ohne an Chile, Vietnam und die Feddayin zu denken, sei ein verwerflicher Ästhet. Also doch Agitprop, aber Marke Fo. Parteilich ist er nicht fixiert, mit der kommunistischen Partei seines Landes kam er in Konflikt, er ist unabhängig.

Der revolutionäre Impuls, den man zunächst auf unsere soziale Situation bezieht, verpufft bei uns, wie die Aufführung seines „Mistero Buffo“ bezeugte, wenn man an die erfreulich gehobene Lage der Arbeiterschaft denkt. Aber die Mischung von Kabarett, Revue und Diseurkunst, von Gesang, Tanz, Pantomime, Parodie, Clownerie ist hinreißend, wirkt allgemein verständlich, um so mehr als er sich des Volkstons bedient. Die Abkunft vom mittelalterlichen Volkstheater ist unverkennbar. Man denkt auch an Hans Sachs. Dario Fo erweist sich als ein vorzüglicher Kenner der deutschen Komödien des 13. bis 15. Jahrhunderts. Unabhängig von der politischen Tendenz vermag dieses überaus lebendige, totale Theater für uns deshalb anregend zu wirken, weil es dem einfachen Menschen wie dem Intellektuellen viel zu bieten hat.

K. M. G.

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