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Der Vor-Anouilh

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Jean Anouilh toll sich, dem Vernehmen nach, seit neuestem auf den eigenen Visitenkarten bescheinigen, daß er kein Literat mehr sei. Als er im Jahre 1937 den „ReisendenohneGepäck“ schrieb, vermeinte er, noch kein Dichter, sondern nur ein Stückeschreiber für das damalige französische Gebrauchstheater zu sein. Und doch ist gerade dieses Stück eines seiner besten. Es schließt die „Moral“, die von Anouilh in seinen reiferen Werken immer wieder variierte Grundaussage vom Menschen und seiner Ausweglosigkeit in das feste, nahtlos gefügte Gerüst einer spannenden Handlung ein. Das später so oft Uberwuchernde, Verspielte, Abgleitende („Die Grotte“, „Mademoiselle Moliere“ und andere) leistet sich der damals junge Autor noch nicht. Und doch ist auch hier schon das Wesentliche gesagt: der Mensch ist zu sich selbst verdammt, er kann auch in der extremen Situation des Gedächtnisverlustes nicht vor sich selbst entfliehen.Wer di unbequeme Wahrheit wählt, muß auf das bequeme Lebensglück verzichten. Wer es sucht, muß die Lebenslüge in Kauf nehmen. Es bedarf einer besonders feinfing-rigen, die geringste Nuance beachtenden Regie, um diesen inneren Gehalt ans Licht zu heben. Dietrich H a u g k, der das Stück nun in einer Inszenierung des Theaters in der Josefstadt zu präsentieren hatte, verließ sich mehr auf die äußeren Wirkungen.

Er hatte ein Ensemble zur Verfügung, mit dem zu arbeiten immer wieder eine Freude sein muß. Helene T h i m i g weiß Anouilh zu spielen. Nachtwandlerisch sicher wechselt sie die Nuancen: eben noch singend-süße Konvention und jetzt schon der Abgrund egozentrischer Haßliebe. Auch Sigrid Marquardt ist in diesen Wandlungen zu Hause. Hans Holt gab den Bruder des aus dem Kriege Heimgekehrten in den leisen Tönen des Verzichts ganz französisch, ohne falsche wienerische Rührung. Mitten ü> dieses Ensemble, für da Roman W e y 1 eine vielleicht zu oft in Bewegung gesetzte, prunkende Drehbühnendekoration gebaut hatte, ist der Gast aus Deutschland, Hannes M e s s e m e r, gestellt. Er macht die innere Wandlung des Gedächtnislosen, sein Zurückschaudern vor dem Schreckbild der eigenen Vergangenheit, seinen Versuch, in eine neue, vermeintlich friedlichere Welt auszubrechen, mit sehr sparsamen, männlichen Mitteln deutlich. Man folgt jedem seiner Schritte mit Spannung, wenn sie auch nicht immer in das Zwischenreich Anouilh, sondern zuweilen in den Vordergrund eines Kriminalstücks führen. Ein Abend, wie ihn wohl nur die Josefstadt zustande bringt.

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