6649258-1958_43_11.jpg
Digital In Arbeit

Schwester Laurentia und Bruder Bernard

Werbung
Werbung
Werbung

Bernard Shaw hat der Welt, seit er als Schriftsteller und Denker in Erscheinung trat, so manches Rätsel aufgegeben. Wenn man glaubte, diesen großen Freigeist, dessen oft ans Blasphemische grenzender Spott und Sarkasmus auch vor den geheiligten Tabus seiner Zeit nicht hakmachte, schlicht als unverbesserlichen Kritikaster oder als Apostel der Vernunft und Atheisten charakterisieren zu können, ließen sich in seiner Existenz und seinem Werk immer wieder Züge entdecken, die nicht recht mit solcher vereinfachenden Abstempelung in Einklang zu bringen waren. Wie unzureichend, ja abwegig sie ist, erweist nichts besser als Shaws Jahrzehnte währende nahe Freundschaft mit der großen Benediktineräbtissin von Stan-brook, Laurentia McLachlan, in die uns eine jetzt auch in deutscher Llebersetzung vorliegende Biographie der Nonne Einblick gewährt. Ein wahrhaft erregendes Dokument, nicht nur im Hinblick auf die enge spirituelle Beziehung zweier Persönlichkeiten, die geistig und seelisch in sehr gegensätzlichen Bereichen wurzelten, sondern ebensosehr als Zeugnis einer großartigen „Freiheit jenseits des Gitters“, die Frau Laurentia so unvergleichlich verwirklichte, was Shaw zutiefst ergriff und anzog an dieser „klausu-rierten Nonne ohne klausurierten Geist“, wie er sie einmal charakterisierte. Welch ein Zeugnis auch für den Geist dieser englischen Benediktinerinnenabtei von Stanbrook, in der sich eine Persönlichkeit wie die Laurentias entwickeln konnte!

Das Buch berichtet zunächst vom Leben und Wirken dieser ungewöhnlichen Frau, die nach einer glücklichen Kindheit und Jugend im Kreise einer liebevollen Familie, sehr jung noch, ins Kloster ging. Ein Entschluß, der ihr schwerfiel, so sehr sie sich auch seiner Unausweichlichkeit immer stärker bewußt wurde. „Ich wundere mich manchmal über die Weisheit meiner Wahl, denn ich war jung und reichlich albern und schrecklich vergnügungssüchtig ...“, meint sie später. Jedenfalls erweist sich an ihrem reichen und vielseitigen Klosterleben „das alte Paradoxon von der Fülle durch Verzicht um Christi willen, vom freiwillig gegebenen und hundertfältig zurückbekommenen Leben“, von dem Laurentias aufgeschlossener und verständnisvoller Biograph, dessen Name ungenannt bleibt, in seinem Vorwort spricht. Die junge Nonne hatte in der Abtei Stanbrook von Anfang an die Möglichkeit umfassender rWissenscbafdicher Arbeit sie trieb, histo rische Studien, beschäftigte sich mit liturgischen Problemen und spielte eine entscheidende Rolle bei der Erneuerung des Gregorianischen Chorals. Aber, viel wesentlicher noch — und damit folgt sie einer alten benediktinischen Tradition — wird ihr die sehr unmittelbare und aktive Anteilnahme am Leben ihrer Mitmenschen, nicht nur innerhalb des Klosters, sondern auch außerhalb seines Bereiches.

„Diese Frau ,obe Grenzen' zählte zu ihren Freunden Kirchenfürsten und Würdenträger der anglikanischen Kirche, gläubige katholische Gelehrte und offen ungläubige, Männer und Frauen vom Theater, Dichter, Künstler und einfache Arbeiter — sie bilden eine reiche und ergötzliche Prozession. Selten vermag ein Mensch in solchem Maße Männer und Frauen, alte und junge Menschen, zugleich anzuziehen.“

Shaw war also kein Sonderfall in dem bunt zusammengewürfelten Freundeskreis der Nonne. Er wurde 1924 bei ihr eingeführt durch Sir Sydney Cockerell, einen Ruskin und den Prä-Raffaeliten nahestehenden, vielfältig engagierten, unruhigen Geist, der zugleich ein großer Humanist war, den die gemeinsamen Interessen an mittelalterlichen Manuskripten zu Frau Laurentia geführt hatten. Eine Begegnung, die sehr bald zu einer dauernden Freundschaft des „wechselseitigen Segens und Schenkens“ sich entwickelte, trotz der unüberbrückbaren Differenzen in Fragen des Glaubens, die beide in ihren späteren Beziehungen nicht mehr berührten, ohne daß ihr persönliches Verhältnis dadurch getrübt wurde.

Man darf das nun freilich nicht so verstehen, als ob die Aebtissin in ihrem vertrauten Umgang mit so ausgesprochenen Freigeistern? wie Cockerell und Shaw, von vornherein alle apostolischen Möglichkeiten ausschloß. In ihrem Nachlaß fand sich, unter den Briefen, die sie von Shaw besaß, eine aufschlußreiche Notiz über dessen ersten Besuch in Stanbrook, die das Gegenteil erweist:

„Sir Sydney Cockerell erzählte mir, Shaw habe ihm den Besuch mit begeisterten Worte geschildert. Cockerell fragte ihn daraufhin, wann er wieder nach Stanbrook ginge. ,Nie wieder', sagte G.B. S. . . . Dann überlegte er eine Weile und fragte: ,Wic lange ist diese Nonne schon im Kloster?' — ,Fast 50 Jahre.' — ,Das ändert freilich die Sache. Ich werde bei jeder sich bietenden Gelegenheit wieder hingehen.' Shaw hatte offenbar geglaubt, ich sei erst nach einer langen Bildungszeit in der Welt ins Kloster eingetreten, aber als er erfuhr, daß, was immer ich bin, ich dem Kloster verdanke, war er sehr beeindruckt. Das gibt Mir Vertrauen, zu hoffen, Gott möge mich für das Reil dieser Seele benutzen. Wenn es sich nur darum handelte, daß er mich schätzt, würde mir das wenig bedeuten, aber es scheint, daß das Leben hier, und folglich das der Kirche, ihn anzieht. . .“

Aber auf welcher, man möchte sagen, erhabenen Ebene wird das große und ernste, sehr freundschaftliche Streitgespräch, das Laurentias und Shaws Auseinandersetzung im Grunde war, von beiden Partnern geführt! Da gibt es keine offenen und keine versteckten Bekehrungsversuche von Seiten der Nonne; statt dessen Verständnis, Geduld und Humor gegenüber Shaws Häresien, seiner Skepsis und seinem Eigensinn, eine Haltung, die ihr endlich eine Seite seines Wesens aufschließt, die er sonst hinter seiner gewohnten Kühle und Schnoddrigkeit zu verbergen pflegte. In diesem Briefwechsel unterzeichnet G. B. S. sich ganz ernst mit „Bruder Bernard“: hier bekennt er unbefangen, daß er voll Sehnsucht in die Freiheit schaue, die jenseits des Gitters ist — eine Sehnsucht, die wohl vorwiegend dem kontemplativen Leben gilt —, und immer wieder bittet er auch um Schwester Laurentias Gebet wie um das des ganzen Konvents. Ein unbekannter, ein ehrfürchtiger und manchmal demütiger Bruder Bernard steht da neben dem Skeptiker und Freidenker Shaw, der sich freilich auch gegenüber der. Aebtissin nicht ganz verleugnet. Das Große und Besondere dieser spirituellen Beziehung ist ja auch gerade die Tatsache, daß sie zwischen zwei Menschen so verschiedener Art und Einstellung bestehen konnte, denen es gelang, über alle Gegensätze hinweg einander zu verstehen, zu beschenken und zu bereichern.

Die Worte, die Frau Laurentia einmal an Sir

Sydney schrieb, könnten auch ihr Verhältnis zu Shaw betreffen:

„Welch ein Geschenk und welch ein Geheimnis ist eine solch wunderbare Freundschaft! Möge die unsere zu immer tieferem Verstehen gedeihen bis wir dieses vollkommenen hinsieht gelangen im ewigen Leben, wo, wie ich fest glaube, all unser Bestes und Edelstes Erfüllung finden wird. Ich möchte sagen, was der heilige Oswald von Worcester beim Abschied zu den Mönchen von Ramsey sagte: .Cousociet mos Christus in paradiso.' Sagen Sie: Amen.“

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung