6561539-1948_51_02.jpg
Digital In Arbeit

G. B. Shaw Irrt

Werbung
Werbung
Werbung

Bernard Shaw stellte vor kurzem in einem Beitrag im Londoner „Daily Worker” kategorisch fest:

„Die modeme Zivilisation wäre völlig undenkbar, wenn es nicht in der ganzen Welt Grundlagen des Kommunismus gäbe. Ohne diese müßten die Menschen den Hungertod erleiden. Wer sich nicht im Prinzip als Kommunist bekennt, kann nicht als zivilisierter Mensch gelten.”

Der 92jährige Shaw ist ein Wunder an körperlicher und geistiger Vitalität, er war immer Sozialist, und das, was e r unter Kommunismus versteht, ist beileibe nicht die totalitäre politische Form, wie sie heute international in Erscheinung tritt, sondern eher die ökonomische und ethische Idee einer besseren sozialen Ordnung und einer idealen menschlichen Gemeinschaft, wie sie von Plato über Morus bis zu den englischen Fabiern und weiter ersehnt, gepriesen und gelehrt wurde.

Paradox heißt zu deutsch: widersinnig, im Widerspruch zur allgemeinen Meinung stehend. Das ist die Art, die Shaw zeit seines Lebens am meisten gelegen ist. Ob er noch als junger Musikkritiker in Hemdänmeln unter den Smokings und Fracks im Parkett saß, ob er alles: von Julius Cäsar bis zu den modernen Diktatoren, von Cleopatra bis zur Johanna von Orleans, von der Erde bis zum Himmel mit seinen Witz- und Spottblättchen bekränzte oder ob er England zu einem Land stempelt, wo der Mensch versklavt, die Gedanken- und Gesinnungsfreiheit brutal unterdrückt wird, ganz gleich —: er muß die Dinge auf den Kopf stellen. Bisweilen kommt bei dieser Methode ein Stück lautere Wahrheit heraus; dann kann man den unbestechlich klaren Verstand loben, der dies zuwege brachte. Nicht selten aber sind die Folgen dieser paradoxen Methode nur Plattheiten, Widersinnigkeiten, Lästerungen. In guten Stunden ist Shaw ein Dichter, ein feiner und großer Geist, ein und eine Verfolgung im Sinne des § 11 VG 1947 nur bei Vorliegen von Handlungen aus besonders verwerflicher Gesinnung, besonders schimpfliche Handlungen und Handlungen, die den Gesetzen der Menschlichkeit gröblich widersprechen, sofern sie in Verbindung mit der Betätigung für die NSDAP erfolgt sind, stattfände. Im übrigen sollenaber sämtliche Registrierungstatbestände (§ 8, VG 1947) den Verwaltungsbehörden zur Ahndung überlassen werden. Nur dadurch könnte eine endgültige Bereinigung in kürzester Frist erreicht werden. Die Tatbestände nach dem Kriegsverbrechergesetz bleiben allerdings unberücksichtigt. Bei dieser Sachlage Stünde nichts entgegen, die weiter verbleibenden anhängigen Verfahren, deren Anzahl nicht groß wäre, in das ordentliche Verfahren überzuleiten. Falls aber die oben angeführte grundlegende Änderung nicht durchgeführt werden könnte, werden sich die Volksgerichtsverfahren noch eine geraume Zeit hinziehen und die wirkliche Beendigung der Volksgerichtsbarkeit erscheint verfrüht proklamiert.

Jedenfalls wäre es sehr begrüßenswert, wenn von offizieller Seite neuerlich und ehestens in klarer und eindeutiger Weise ausgesprochen würde, was in dieser Richtung beabsichtigt ist, damit jedwede unnütze Verschleppung von Prozessen hintangehalten und nicht Hoffnungen genährt würden, die nicht begründet erschienen.

Spötter aus Liebe zur Kreatur; in schlechten ist er boshaft, verwirrend und kauzig in unguter Absicht. Sein Beitrag im „Daily Worker” ist in einer schlechten Stunde geschrieben. So weltverloren lebt nun Shaw gerade nicht, daß er nicht wüßte, wie schwer die Verwirrung der Begriffe und Ideen auf der Welt lastet; wieviel Elend, Blut, Tränen und Hunger es die Welt in den letzten zehn Jahren gekostet hat, weil es so viele „Demokratien” gibt, aber so erbärmlich wenig Demokratie, weil jedes der Völker mit Klauen und Zähnen seine „Demokratie” verteidigt und einige von ihnen die ihre sogar mit Gewalt andern aufzwingen möchten. Und in diesen verhängnisvollen Wirrwarr greift nun noch der weltberühmte G. B. Shaw verwirrend ein, der genau weiß, daß jede seiner Sentenzen alsbald um den J rdball gejagt und von Millionen gehört, gelesen, aufgenommen oder verdreht wird. Je größer der Ruhm, um so größer die Verantwortung.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung