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Unfug

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Osterreichische Meister sind, so scheint es, Freiwild. Man hat sich seinerzeit der beiden Hauptwerke Joseph Roths bemächtigt und, indem man ihren Sinn amputierte, Verfilmungen geschaffen, die den Durchschnittsbürger (der. nichts, oder wenn, nicht das Richtige liest) glauben machten, Roth habe die Donaumonarchie nicht verherrlichen, sondern verhöhnen wollen. Jetzt hat man sich Alfred Kubins bemächtigt.

Alfred Kubin, der große Graphiker, dem weiteren, durch heutige Grenzen nicht definierbaren österreichischen Bereich entstammend, vereinte in seinem Wesen deutschböhmischen Fleiß und tschechische Hintergründigkeit. Um seine skurrilen Schreckensvisionen zu Papier zu bringen, verschanzte er sich in Zwickledt, dort, wo Oberösterreich am stummsten und massivsten ist. Dem von Arbeitswut und Schlaflosigkeit Gequälten riet man einst, einen Psychiater aufzusuchen. Kubin wehrte entsetzt ab. Keine Komplexe mehr? Zu Ende wäre es dann mit seiner Schaffenskraft!

Alfred Kubin hat einen Roman geschrieben, einen einzigen, „Die andere Seite“. Dieser Roman ist gleichen Ranges mit den Meisterwerken Franz Kafkas, von dem Kubin übrigens nichts wußte. Der Regisseur Johannes Schaaf konnte es, unlängst erlebten wir es in FS 1, nicht lassen, unter koproduktiver Zuhilfenahme des ORF, Kubins Nachtmahre aus dem Geiste bundesrepublikanischer Filmemacher, also schlichtweg: pornographisch, umzugestalten. Mit Kubin, der alles Erotische in seine herbe Traumwelt zu sublimieren pflegte, hatte das so gut wie gar nichts mehr zu Gewiß, da war zum erträglichen Beginn noch der geheimnisvolle Bote, der den Ich-Erzähler in des Schulfreunds (und Demiurgen) Patera Traumstadt „Perle“ einlädt, da toter die Reise durch asiatische Wüsten, die Ankunft, weit hinter Taschkent, in einer zerbröckelnden, beengten Biedermeierwelt mit ihren zwielichtigen Bewohnern, mit ihrem ärarisch-schmucklosen Palast samt Archiv und verrückten Hofräten, mit dem verrufenen Viertel und dem „Großen Uhrbann“, einem Symbol verrinnender Zeit, das lächerlicherweise verzweifelte Ähnlichkeit mit einer öffentlichen Bedürfnisanstalt hat...

Aber dann trat der mit Auszeichnungen überhäufte Filmemacher in Aktion und wußte es besser. All sein Aufwand mit demolierten Althäusern und zwecklos gefällten Bäumen, all die unmotivierten Entkleidungen konnten nicht über Herrn Sehaafs Unfähigkeit hinwegtäuschen, Kubins böhmisch-österreichische Vielschichtigkeit, Doppelsinnigkeit und vertrackte Traumlogik auch nur im entferntesten zu erahnen, geschweige denn nachzuvollzie-hen. Was bei Kubin als Zerstieben alteuropäischer Illusionen vor brutalem „amerikanischen“ Zweckdenken trostlos endet, geriet Herrn Schaaf zu einer ordinären Orgie, einem Krampf,, der aus dem simplen Grund niemanden verführt, weil er abstößt. Nacktheit diente den italienischen Renaissancemeistern zur Glorifizierung des von ihnen neu entdeckten Menschen. Nördlich der Alpen wurde und wird sie allemal zur lüsternen, und deshalb so peinlichen Justament-Demonstra-tion. Deutsche Modelle und Schauspieler scheinen immer zu frieren, wenn sie sich partout ausziehen müssen. Sie spüren wahrscheinlich, daß ihnen eben die lateinischen Proportionen fehlen und sie sollten es sein lassen, die Ärmsten, sie sollten sich toieder anziehn und nach Hause gehn.

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