6838415-1975_28_13.jpg
Digital In Arbeit

Nächst Künstler Grübler, Seher“

Werbung
Werbung
Werbung

Bücher, die im äußeren Gewand, in der typographischen Gestaltung und in der Qualität des Drucks Buchkultur ausstrahlten, gehörten früher zum selbstverständlichen Ehrgeiz eines Verlegers, heute sind sie solche Seltenheit geworden, daß sie nur noch als bibliophile Ausgabe in Erscheinung treten. Ein Buch dieser Art legt die Edition Spangenberg mit den autobiographischen Schriften Kubins vor. Vornehm schwarzweiß mit einem graphischen Selbstporträt Kubins bietet sich der Schutzumschlag dar. Für den Einband wurde die beste Leinenqualität verwendet, auf dem Einbandrücken mit handgeklebtem Rückenschild und darauf in Goldprägung der Titel. Unvorstellbar fast, daß vor zwanzig Jahren anspruchsvolle Verleger auch noch Romaneinbänden solche Gestaltung angedeihen ließen.

Für die Herausgabe trägt Ulrich Riemerschmidt die Verantwortung. Er steuerte das genaue Werkverzeichnis bei und ein kurzes Nachwort, in dem er ausführt, wie sehr die Kunst Kubins frei von Einflüssen wuchs und sich in Zwickledt in der ihr gemäßen Umgebung entfalten konnte — mit der Urlandschaft des Böhmischen und des Bayrischen Waldes im Hintergrund, die ähnliche Schichten in der Seelenlandschaft des „Magiers von Zwickledt“ ansprach.

Zum Kernstück des Bandes ist Kubins Autobiographie geworden, die ja ein Kuriosum darstellt, indem sie über Jahrzehnte hinweg — im Lauf eines 82jährigen Lebens, das von 1877 bis 1959 reichte und arm war an äußeren Ereignissen und Reisen seit der Übersiedlung nach Zwickledt im Jahre 1906 — stückweise geschrieben wurde: 1911, 1917, 1926, 1928, 1931, 1946, 1952. Dadurch vermag sie ohne Distanz die Stimmungslage kleiner Zeitabschnitte und Lebensetappen recht unmittelbar wiederzugeben. „Ich bin nächst Künstler Grübler, Seher“ ist die kürzeste und treffendste Formulierung, die Kubin darin für sein eigenes Ich findet. Und immer wieder das Thema des Älterwerdens, von dem er nicht loskommt: Hypochonder, der er ist, und der es weiß, daß er es ist: „Der Berg liegt nun im Rücken“, schreibt er im Teilstück 1927 im Blick auf seinen 50. Geburtstag, „und die Tal-Wanderung im Nachmittagslicht ist um vieles leichter und ebenso großartig. Doch kann ich mich nicht darüber hinwegtäuschen, daß seit ein paar Jahren ein dunkles, ahnungsvolles Gefühl bei allem mitschwingt. Es ist das unabweisbare Gefühl des Älterwerdens.“ Immerhin — die Talfahrt dauerte noch mehr als dreißig Jahre.

Zur Autobiographie treten als zweiter Teil des Buches kleinere, meist nur ein oder zwei Seiten lange autobiographische Uberblicke. Sie verdanken ihre Aufnahme der beabsichtigten Vollständigkeit und stellen kaum eine Bereicherung der Autobiographie dar. Eine Perle darunter verdient hervorgehoben zu werden — ein Brief an Wilhelm Hausenstein aus dem Jahre 1921, der einen Tag in Zwickledt schildert. Ein paar Sätze seien zitiert:

„Ich fürchte, Sie ziehen gewagte Schlüsse aus der Romantik meiner Arbeiten auf meinen Alltag! Vor allen Dingen, Schloß Zwickledt ist gar nicht das, was man zu Recht ein Schloß nennen dürfte, es ist nur ein kleines Landhaus. Das alte Haus hat vier Bewohner, meine Frau, mich und zwei Mägde. Obst- und Gemüsegarten, Geflügelzucht, Ziegen und Schweine schützten uns auch in den schlimmsten durchgemachten

Kriegszeiten vor unmittelbarer Nahrungsnot. Der von einem eigenartigen Stimmungszauber unerschöpflich erfüllte Ort und seine wunderbare ländliche Umgebung ist mir nach mancher Richtung zum Schicksal geworden.“

Allerhand Köstlichkeiten aus dem Leben in Zwickledt hat Kubin zu Papier gebracht. Sie finden sich in dem dritten Teil des Bandes, „Einzelne Erinnerungen und Anekdoten“ betitelt. Wem Kubin, dieser größte österreichische Zeichner des 20. Jahrhunderts, nicht vertraut ist, bekommt von hier aus einen Zugang zu dem Menschen und Künstler, wie er schöner nicht gedacht werden kann.

Mit dem autobiographischen Band hat ein verdienstvolles Verlagsunternehmen — die Herausgabe des schriftstellerischen Werkes von Alfred Kubin — seinen vorläufigen Abschluß gefunden, doch ist es wahrscheinlich, daß sich hieran noch die Publikation des einen oder anderen Briefwechsels anschließt. Voranging ein erster Band gesammelter Prosa „Aus meiner Werkstatt“, der über weite Strecken ebenfalls autobiographischer Natur war — mit Aussagen über die Verwirklichung der eigenen Künstlernatur und auch in den Begegnungen mit Zeitgenossen. Am Anfang stand die Neuausgabe des Romans „Die andere Seite“, aus Anlaß der Verfilmung, die unter der Regie von Johannes Schaaf und unter dem Titel „Traumstadt“ erfolgte. Sie war begleitet von einer Publikation des Briefwechsels mit Reinhold und Hanne Koppel, dem Malerfreundespaar im benachbarten Bayrischen Wald. Dieser Brief band — er trägt den Titel „Wilde Rast“ — wurde in einer Auflage von 800 numerierten Exemplaren herausgebracht, die zwei Bände der Gesammelten Prosa in einer Auflage von je 1000 numerierten Exemplaren. Sie stellen durch die Qualität der Ausstattung und durch die Vielzahl beigegebener Kubin-Zeichnungen Kostbarkeiten dar, die in absehbarer Zeit, nach Vergriffensein der Auflagen, sicher zu Liebhaberpreisen im Buch- und Kunstantiquariat gehandelt werden.

ALFRED KUBIN: AUS MEINEM LEBEN. Edition Spangenberg im Ellermann Verlag, München. 224 S. mit 73 Zeichnungen. Ln. DM 86.—.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung